CfP Dokumentation und Simulation - Zum Verhältnis von dokumentarischen Formen und Computerspiel (31.1.2015)

15. Dezember 2014

Die Sonderausgabe zu "Dokumentation und Simulation" von PAIDIA - Zeitschrift für Computerspielforschung fragt nach dem Verhältnis von dokumentarischen Formen und Computerspielen. Fasst man das Dokumentarische als eine spezifische Form von Repräsentation und Perspektivierung von Welt, die in künstlerischen und medialen Prozessen meist symbolisch (bspw. in der Literatur) oder ikonisch (bspw. im Film) zum Ausdruck gebracht wird, stellt sich die Frage, wie ein interaktives Medium wie das Computerspiel mit dieser Form umgehen kann.

Wenn wir davon ausgehen, es gäbe eine Welt und Medien würden in einem bloßen Abbildungsverhältnis zu dieser Welt stehen, dann hätte das Dokumentarische die Funktion, diese Welt oder einen Ausschnitt davon so unverfälscht wie möglich darzustellen. Das wäre zwar eine naive Definition, denn zum einen konstituieren Medien Welt mit und zum anderen ist 'unverfälscht' allein deshalb nicht möglich, weil sich durch die mediale Beobachtung das Beobachtete selbst verändert. Dennoch ist dieser 'naive' Einstieg hilfreich, weil man damit beschreiben kann, wo es im Computerspiel solche Versuche gibt, Welt 'so unverfälscht wie möglich' abzubilden. Die Vermutung liegt nahe, dass das Dokumentarische im Computerspiel eng mit dem Begriff der Simulation zusammenläuft - denn das Spiel kann nicht nur auf ikonische oder symbolische Weise Ausschnitte der vormedialen, ‚realen‘ Welt abbilden, sondern auch Handlungen, die in der 'realen' Welt getätigt werden, in den medialen, virtuellen Raum des Computerspiels ‚übersetzen‘. Simulation meint in diesem Zusammenhang weit mehr als Flugsimulatoren etc. Deshalb soll folgender Vorschlag gemacht werden: Simulation ist  ebenso wie Dokumentation  als eine spezifische Perspektivierung oder Haltung gegenüber der Repräsentationen von Welt zu verstehen. Simulation bezieht aber im Unterschied zur Dokumentation auch die Interaktion mit Objekten bzw. Figuren einer plausiblen Welt nach plausiblen Gesetzmäßigkeiten mit ein; so wird man bspw. in die Lage versetzt, mit einem Rennwagen eine Rennstrecke erfolgreich zu absolvieren. Und weil die simulierte Welt vor allem plausibel sein muss, sind sogar 'plausible' Simulationen von erzählten Welten möglich. Das Dokumentarische öffnet sich in der Simulation dadurch der Dimension des Erlebens.

Auf dieser Ebene sind viele der Computerspiele anzusiedeln, die üblicherweise als "Serious Games" verhandelt werden. Beispiele: The Day the Laughter Stopped , Evolution: Indian Hunter, Vom fehlenden Fisch - Die geheimnisvolle Welt der Gemälde. Aber auch Spiele, die in ein ‚reales‘ historisches Setting eingebettet sind, sind zu nennen. Beispiele: Reihe Medal of Honor, Reihe Call of Duty, Reihe Battlefield. Ausgewiesene dokumentarische Computerspiele bzw. interaktive Kunst-/Medienproduktionen gibt es hingegen bisher nur wenige: Beispiele: Frontiers, From Darkness, 1378 km, Fort McMoney. Schon dieses Feld des (eher) explizit dokumentarischen Computerspiels wirft viele Fragen auf nach der Zukunft der dokumentarischen Form in interaktiven Medien, nach dem Verhältnis von Dokumentation und Simulation und nach Möglichkeiten der (Sub-)Klassifikation von Genres usw.

Zusätzlich erweisen sich narrative, fiktionale Medienereignisse immer als Archive ihrer Entstehungszeit und Entstehensbedingungen. Bei Computerspielen wird diese Annahme meist übertragen auf die technischen Rahmenbedingungen der Entstehung, wie beispielsweise die Plattform, die Auflösung des Bildes etc. Tatsächlich aber zeigen sie sich – wie alle narrativen Medien – sogar als Archive kultureller Gegebenheiten, Haltungen und Auffassungen. Einige Spiele tun dies expliziter, wenn sie beispielsweise den Zeitgeist eines historischen Abschnitts (in Gone Home die 90er Jahre) oder Subkulturen (Gangsterkultur in GTA) fokussieren. Diese Darstellungen spiegeln etwas wieder, das man als Mainstreamperspektive auf einen Ausschnitt von Kultur verstehen könnte.

Die Sonderausgabe zu „Dokumentation und Simulation“ von PAIDIA - Zeitschrift für Computerspielforschung fragt im oben skizzierten Sinn nach dem Verhältnis von dokumentarischen Formen und Computerspielen. Erwünscht sind interdisziplinäre Beiträge, die sich dem Thema aus der theoretischen Sicht der Medienkulturwissenschaft und / oder die sich aus den Erfahrungen der Medien(produktions)praxis beispielsweise von dokumentarisch arbeitenden Filmemachern, Spieleentwicklern usw. nähern.

Bei Interesse senden Sie bitte einen Abstract von maximal 250 – 300 Wörtern bis zum 31.1.2015 an redaktion@paidia.de.

Bitte verwenden sie dabei ein gängiges Format (doc, docx, rtf). Da wir alle Vorschläge im Blind-Peer-Review-Verfahren sichten werden, achten Sie bitte darauf, dass Ihr Textdokument selbst anonymisiert ist.
Nach der Sichtung der Abstracts erhalten Sie unsere Rückmeldung bis zum 15.2.2015.

Bei einer positiven Antwort werden Sie bis 15.04.2015 Zeit für die Ausarbeitung des vollständigen Artikels von einer Länge bis zu 4000 Wörtern haben. Ausgewählte Beiträge können im Rahmen des Internationalen Dokumentarfilmfestes München präsentiert werden.

Die Veröffentlichung der Beiträge ist für Anfang Mai 2015 hier auf der Seite www.paidia.de angestrebt. Paidia ist ein wissenschaftliches non-profit Projekt, weshalb veröffentlichte Beiträge leider nur mit Ruhm und Ehre, nicht aber finanziell entlohnt werden können.

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Grelczak, GebhardSchellong, MarcelUnterhuber, Tobias: "CfP Dokumentation und Simulation - Zum Verhältnis von dokumentarischen Formen und Computerspiel (31.1.2015)". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 15.12.2014, https://paidia.de/cfp-dokumentation-und-simulation-zum-verhaltnis-von-dokumentarischen-formen-und-computerspiel/. [19.03.2024 - 10:07]

Autor*innen:

Gebhard Grelczak

Leitet das IT-Zentrum Sprach- und Literaturwissenschaften der LMU München. Befasst sich mit Computerphilologie, E-Learning, Robotik in den Geisteswissenschaften, elektronischer Edition, deutscher Nachkriegsliteratur – und mit medienkulturwissenschaftlichen Beobachtungen von Computerspielen.

Marcel Schellong

Dr. Marcel Schellong ist Referent für Studium und Lehre am Institut für Deutsche Philologie der LMU München. Weitere Informationen zur Person unter www.marcelschellong.de. Interessen und Arbeitsschwerpunkte: Theorien der Semiotik, nichtlineare Erzählmedien, Verhältnis von Spielen und Erzählen, Medienwissenschaft/Intermedialität, Literatur in München/Bayern.

Tobias Unterhuber

Dr. Tobias Unterhuber studierte Neuere deutsche Literatur, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Religionswissenschaft an der LMU München und der University of California, Berkeley. 2018 promovierte er bei Prof. Dr. Oliver Jahraus mit einer Arbeit zum Thema "Kritik der Oberfläche – Das Totalitäre bei und im Sprechen über Christian Kracht". Er ist Post-Doc am Institut für Germanistik, Bereich Literatur und Medien an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Zu seinen Forschungsinteressen zählt neben Popliteratur, Literaturtheorie, Diskursanalyse, Literatur & Ökonomie und Gender Studies auch die kulturwissenschaftliche Computerspielforschung.