Editorial 2011

1. Januar 2011

Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. (Friedrich Schiller, Über die Ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief)

Wir spielen seit etwa 30 Jahren Computerspiele – in dieser Zeit konnten wir beobachten, wie dieses Medium erwachsen geworden ist. Computerspiele sind längst nicht mehr bloßer Zeitvertreib von realitätsflüchtenden Jugendlichen. Sie „sind auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft“ (Spiegel Online), wie kürzlich Christian Schmidt festgestellt hat. Vermutlich sind sie dort sogar schon seit einiger Zeit angekommen. Neben aller technischer und grafischer Verbesserungen: Computerspiele sind ein ernstzunehmendes narratives Medium geworden – sie sind  Spielhandlungsräume, die im besten Falle Spielhandlungen mit Erzählhandlungen zusammenführen. Sie folgen den kulturellen Bedingungen und Möglichkeiten von Spielen, können dabei auf das Inventar der erzählerischen Mittel von Buch, Film, Hörspiel, Comic etc. zurückgreifen und übersteigen als genuin interaktive Medien gleichzeitig deren mediale Möglichkeiten.

PAIDIA tritt als Onlinezeitschrift an, um diesem Medium in seiner Komplexität gerecht zu werden und ihm heuristisch und mit analytisch variierendem Abstraktionsgrad zu begegnen. Aus einer medienkultur­wissenschaftlichen Perspektive werden Computerspiele und ihre Kontexte beobachtet –  ob, was und wie sie erzählen, ob, wo und wie sie verhandelt werden. Wir stellen Fragen nach der spezifischen – und bisher nur in Ansätzen erforschten – Medialität von Computerspielen und den besonderen Bedingungen ihrer Produktion und Rezeption.

Diese Loslösung von den engen Grenzen einer monodisziplinär ausgerichteten Forschung - beispielsweise einer 'nur' narratologisch oder ludologisch geprägten Forschung - und die gleichzeitig intensive, begeisterte und wissenschaftlich geprägte Auseinandersetzung mit Computerspielen verstehen wir als den nächsten Schritt der Computerspielforschung/-beobachtung. In diesem Sinn werden bei PAIDIA 'advanced gamestudies' betrieben.

Motivation für den Aufbau von PAIDIA war und ist ein in den vergangenen Jahren deutlich erkennbarer Anstieg von Publikationen, die genau in diese Richtung gehen. PAIDIA soll Ort für solche Veröffentlichungen sein und als Forum den Raum für Diskussionen und das gemeinsame Nachdenken über Computerspiele bieten. Diesen Ideen folgend ist PAIDIA natürlich unabhängig und arbeitet nicht kommerziell.

PAIDIA versucht den Brückenschlag vom begeisterten Computerspieler, der sich einen reflektierten Umgang mit 'seinem' Medium wünscht, über den Medien-/Kulturwissenschaftler, der Computerspiele zum Gegenstand seiner Forschung macht, bis hin zu demjenigen, der vielleicht mit Computerspielen noch nie in Berührung gekommen ist, der aber aus grundsätzlichem Interesse an kulturellen Phänomenen und aus Neugierde Zugang zu diesem Medium sucht.

PAIDIA hat - zumindest zunächst - zwei Rubriken: Beiträge und Gedankensplitter.

In Beiträgen sollen Ideen zu Ende gedacht, Gedankengänge ausgeführt, Thesen überprüft und Analysen möglichst vollständig gemacht werden - kurz gesagt: Beiträge entsprechen unserer Vorstellung von einer reflektierten und elaborierten Auseinandersetzung mit einem bestimmten Phänomen im Zusammenhang mit Computerspielen.

Immer wieder kann aber nur eine These aufgeworfen, eine Idee skizziert werden, weil Zeit oder Rahmenbedingungen nicht zulassen, dass aus einem solchen ersten Gedanken gleich ein ausgearbeiteter Beitrag wird. Um solche Entwürfe nicht in Schreibtischschubladen verkümmern zu lassen, um sie vielmehr als Impuls oder Inspiration zur Diskussion zu stellen, gibt es mit der Kategorie Gedankensplitter eine Art Skizzenbuch bei PAIDIA.

Die beiden Rubriken unterscheiden sich formal nicht von einander: In beiden fühlen wir uns strengen Standards wissenschaftlichen Arbeitens verpflichtet. Auch Textlänge ist kein primäres Unterscheidungskriterium; schließlich braucht es manchmal für einen ausformulierten Gedanken weniger Platz als für eine erste These.

Wir möchten interessierte Autoren ausdrücklich auffordern, mit der Redaktion in Kontakt zu treten. Beiträge und Gedankensplitter können jederzeit eingereicht werden (weiteres: hier).

So zitieren Sie diesen Artikel:

Schellong, MarcelGrelczak, Gebhard: "Editorial 2011". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 01.01.2011, https://paidia.de/editorial-2011/. [19.03.2024 - 14:05]

Autor*innen:

Marcel Schellong

Dr. Marcel Schellong ist Referent für Studium und Lehre am Institut für Deutsche Philologie der LMU München. Weitere Informationen zur Person unter www.marcelschellong.de. Interessen und Arbeitsschwerpunkte: Theorien der Semiotik, nichtlineare Erzählmedien, Verhältnis von Spielen und Erzählen, Medienwissenschaft/Intermedialität, Literatur in München/Bayern.

Gebhard Grelczak

Leitet das IT-Zentrum Sprach- und Literaturwissenschaften der LMU München. Befasst sich mit Computerphilologie, E-Learning, Robotik in den Geisteswissenschaften, elektronischer Edition, deutscher Nachkriegsliteratur – und mit medienkulturwissenschaftlichen Beobachtungen von Computerspielen.