Protostar - war on the frontier

21. Februar 2012

Rezension zum Klassiker "Protostar"

Was für ein Tag...

Oh verdammt, es hat das Waffendeck erwischt und ihre Schiffe sind schneller als das unsere. „Kommunikation, stellen Sie Kontakt mit den Angreifern her, wir ergeben uns.“ Die Piraten (s. Abb.) nehmen uns eine ganze Ladung der von uns gerade erst entdeckten Spezies der Flachmungos (eigene Klassifizierung; s. Abb.) ab. Doch wir haben Glück. Wären die Angreifer Skeetch gewesen, hätten wir das Gefecht nicht überlebt. Wir schleppen uns mit gerade genügend Stabilium davon, um die nächste Newfront-Weltraumstation zu erreichen. Die Lage ist fatal: Das Geld würde reichen, um die Waffenstation reparieren zu lassen, doch die Erde benötigt finanzielle Unterstützung, um sich gegen die Belagerung der Skeetch zu halten. Zudem wurde eines der Crewmitglieder schwer verletzt und braucht dringend medizinische Versorgung. Unbewaffnet fliegen in einem Sternensystem, wo es von Kaynik, Piraten und den Skeetch nur so wimmelt? Das ist glatter Selbstmord, aber was bleibt mir übrig? Erst mal in die Bar auf einen Kulablade...
Was für ein Tag im Leben eines Raumschiffkommandanten, der im Jahr 2336 in den Thule Sektor entsandt wurde, um die Menschheit vor der Auslöschung durch eine durchweg feindselige Alienrasse, den Skeetch, zu bewahren. Abgeschnitten von der Unterstützung der Allianz soll der Kommandant die vier großen Alienrassen der Ghebraant, der Vantu, der Kaynik und der Deresta (s. Abb.) als Verbündete gewinnen oder sie zumindest dazu bringen, den Nachschub der Skeetch bei der Belagerung der Erde zu unterbinden.

 

Zudem ist es seine Aufgabe eine Crew zu rekrutieren und sein Schiff für den Kampf hochzurüsten. Dazu bedarf es neben diplomatischem Geschick einer Menge Geld. Denn neben Treibstoff, den Gehältern der Crew und der Ausstattung des Raumschiffs, müssen regelmäßig finanzielle Mittel an die Verteidiger der Erde (s. Abb.) fließen, damit der Widerstand gegen die Skeetch aufrecht erhalten werden kann.

Ein weiterer Grund das Sternensystem zu erkunden. Der riesige Sektor Thule mit seiner großen Menge von Sonnensystemen (s. Abb.) bietet alles, was das Forscherherz begehrt: unerforschte, unbenannte Planeten (s. Abb.), unbekannte Spezies, eine Fülle an Bodenschätzen, Handelsplätzen und an Städten fremder Kulturen und Rassen. Gerade der Handel und die Konversation ermöglichen eine positive Kontaktaufnahme mit den möglichen Verbündeten, welche die diplomatischen Beziehungen verbessert. Aber auch diverse Abenteuer, wie die Rettung eines Forscherteams, die Bergung einer Crew oder der Kampf gegen unzählige Piraten und andere feindlich gesinnten Wesen bringen den Erfolg der Mission voran.

Ungebrochener Charme, auch nach 20 Jahren

Ähnlichkeiten, die Spielern von Mass Effekt 1 und 2 jetzt auffallen können, sind sicherlich nicht zufällig. In der Tat erinnern sowohl das Setting, als auch Teile der Spielmechanik der als äußerst innovativ geltenden Titel stark an das 1993 durch das Studio Tsunami Games (ehemalige Sierra-Mitarbeiter) entwickelte Protostar: war on the frontier. Der Titel vermittelt in einer Mischung aus Rollenspiel und Actionsimulation eine glaubhafte Reise in ein fremdes Sternensystem. Liebevoll gestaltete Raumschifftypen, Orte und Charakter wirken auch fast 20 Jahre nach dem Erscheinen immer noch ansprechend, besonders wenn sich die Mimik des Gegenübers je nach Zustand der Unterhaltung verändert oder die Unterhaltungen mit den Crewmitgliedern zu einer emotionalen Verbundenheit führt. Warum sieht mich mein Kommunikationsoffizier so böse an? Entweder habe ich mich seinem Volk gegenüber ungebührlich verhalten oder es war wohl nicht mehr genügend Geld da, um seinen Lohn zu zahlen.
Die weitreichenden Möglichkeiten, den Sektor, einzelne Sonnensysteme und auch Planeten zu erkunden, wirken wie ein Vorläufer der heute so beliebten Sandbox-Spiele. Und selbst wenn es einseitig erscheinen mag, stundenlang über die Oberflächen diverser Planeten zu fliegen, dabei Rohstoffe und Lebewesen einzusammeln und anschließend zu verkaufen, macht selbst diese Tätigkeit einen Teil vom Reiz des Spiels aus. Denn es führt zu einem immersiven und meditativen Hineinversenken in diese fremde Welt. Dass man auf unbewohnten oder bewohnten Planteten zusammen mit befreundeten, friedfertigen oder feindseligen Rassen nach so ziemlich allen Rohstoffen des Periodensystems und einer interessanten Auswahl an außerirdischen und noch nicht klassifizierten Lebewesen suchen und sie mitnehmen kann, beflügelt den Forschergeist und steigert die Motivation, sich auf die Geschichte einzulassen. Über dies hinaus vermittelt das Koordinatensystem, das zum Notieren im Sinne eines Logbuches geradezu einlädt, und die Zeitanzeige, welche immer wieder an die regelmäßige Unterstützung der Erde mahnt, eine anregende Illusion von Raum und Zeit. Es entsteht ein glaubhafter Erfahrungsraum. Besonders da die vielen Informationen über Lebensbedingungen, Lebensraum, Physis, Aussehen und Eigenarten der neu entdeckten und selbst benannten Lebewesen und Rassen den Eindruck einer in sich stimmigen Weltkonzeption verstärken.
Das bis heute Interessante an der Handlung ist, dass die einzelnen Teile die meiste Zeit keiner festen Ordnung folgen. Damit wird der zentrale Unterschied des Mediums Computerspiel gegenüber Büchern und Filmen deutlich: Computerspiele erzählen nicht-lineare Geschichten. Jeder Spieler erlebt einen individuellen Ablauf der Geschichte und wird zur Mitautorschaft eingeladen, indem Planeten, Lebewesen und auch die Hauptfigur persönlich benannt werden können und einige Ereignisse zufällig generiert werden.

Fazit

Und gerade als ich denke: "Jetzt fliege ich zur nächsten Raumstation, verkaufe die gesammelten Ressourcen und verbessere mein Raumschiff, überfallen mich diese widerlichen Piraten..." An der Bar sitzt ein stark zugerichteter Kerl namens Dodel und erzählt mir seine Lebensgeschichte. Wenig interessiert schütte ich einen Kulablade nach dem anderen runter. Doch kurz bevor es einer zuviel wird, erzählt er mir von einem Allianz-Schiff in Not bei den Koordinaten 066, 039 ...ich muss weiter.

Wer also auch ohne stark gerenderte Polygone und extrem hohe, stressfördernde Interaktionsfrequenzen auskommt und nach einem harten Arbeitstag lieber für ein paar Stunden in eine fremde Welt eintauchen möchte, um als Held den Untergang der Menschheit zu verhindern, für den lohnt sich das Spielen von Protostar - war on the frontier auch noch heute. Der ganz eigene Charme dieses Klassikers kann immer noch begeistern.

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Schöffmann, Andreas: "Protostar - war on the frontier". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 21.02.2012, https://paidia.de/protostar-war-on-the-frontier/. [20.04.2024 - 08:00]

Autor*innen:

Andreas Schöffmann

Andreas Schöffmann arbeitet und promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach einem Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien mit der Fächerkombination Deutsch, Geschichte, Philosophie/Ethik, Medienpädagogik sowie des Magister Artiums in Neuerer Deutschen Literatur befasst er sich mit der Frage nach einem kompetenten Umgang mit Computerspielen als Teil der Werteerziehung. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der Forschungsstelle Werteerziehung und Lehrerbildung: http://www.wul.germanistik.uni-muenchen.de/personen/mitarbeiter/schoeffmann_andreas/index.html