Beyond the Killing Spree - Transmediales Erzählen in "League of Legends"

30. März 2015
Abstract: Das Spiel League of Legends wird sowohl durch Entwickler als auch Fans mit einer großen Menge paratextueller Medienereignisse angereichert, die die oft nur rudimentär im Spiel enthaltenen Erzählungen ausbauen und erweitern. Diese Formen transmedialen Erzählens sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden, wobei ein besonderes Augenmerk der Archivierung all dieser Medienereignisse gelegt wird.

Die Multiplayer-Online-Battle-Arena (MOBA) League of Legends (LoL) der Spieleentwickler Riot Games begeistert täglich bis zu 27 Millionen Spieler weltweit. 1 Im Jahr 2012 haben 70 Millionen registrierte Nutzer mehr als eine Milliarde Stunden mit dem Spielen von LoL verbracht, was es angesichts der Spielzeit zum weltweit meistgespielten Spiel machte. 2 Und das scheinbar ganz ohne Narration. Die Tutorials erklären lediglich das Spieleprinzip, bei dem es darum geht den gegnerischen Nexus – das Herzstück der gegnerischen Basis – zu zerstören. Im meistgespielten Modus Summoner’s Rift  kämpfen pro Team fünf Champions auf drei unterschiedlichen lanes - den jeweiligen Angriffswegen – um den Sieg.

Die Karte einer Multiplayer Online Arena

Die Karte einer Multiplayer Online Arena. Original PNG version (CC 3.0) by Raizin, SVG rework by Sameboat. file: Map of MOBA.png

Der Spieler bewegt dabei einen Avatar, der im Spiel als Champion bezeichnet wird und über spezielle individuelle Fähigkeiten verfügt. Die Anzahl der Champions besteht derzeit aus 123 Charakteren und wird von Riot Games permanent erweitert. Die neueren oder redigierten Champions werden durch eigens für sie kreierte Videos den Spielern unter anderem auch auf der Youtube-Plattform des Entwicklerstudios vorgestellt. Nicht selten wird dies durch Musikvideos oder andere multimediale Elemente untermalt. An diesen Punkten bricht häufig auch Narration in das Spiel ein. Das jüngst erschienene Musikvideo zu dem Mumienchampion Amumu klärt den Spieler beispielsweise über die Hintergrundgeschichte der Figur auf. 3

Der Songtext referiert dabei auf ein intradiegetisches Wissen der Welt Runterra von LoL über das Schicksal und die Vorgeschichte Amumus.

Every child in Valoran has heard the tale before,
About the cursed mummy boy who felt his heart no more.
So sad and lorn, the helpless lad, Amumu was his name,
He ventured out to find a friend and learn about his bane.

For many years, young Amumu traveled through the lands,
Determined to make friends, if only they would understand,
But even when Amumu stood upon the ledge of home,
His hope would disappoint him, and he would remain alone.
But then the curse began to whisper in his ear,
And would confirm what was Amumu’s biggest fear,
It pledged that never shall someone become his friend,
It pledged that he shall be alone until his end.
The sorrow and despair,
Became too much to bear.
The moment when Amumu realized what he had done,
Too late it was, for him, for them, the evil curse had won
The anger and the anguish overwhelmed his fragile soul,
And caused a wicked tantrum that he never could control. 4

Zusätzlich findet sich in den wenigen narrativen Ingame-Elementen wie der so genannten Lore der Champions – im Deutschen mit Überlieferung, Kunde oder auch Sagen- und Märchengut zu übersetzen – Information zur Vorgeschichte der Figuren. Diese kann im Client des Spiels als Zusatzinformation neben der Beschreibung der Fähigkeiten der Champions aufgerufen werden. Bei Amumu fällt seine Lore aufgrund seiner Amnesie deutlich gering aus.

Amumu is a diminutive, animated cadaver who wanders the world, trying to discover his true identity. He rose from an ancient Shuriman tomb bound in corpse wrappings with no knowledge of his past, consumed with an uncontrollable sadness. 5

Das Musikvideo erweitert somit die kurze Ingame-Beschreibung und bietet daneben eine Erklärung für die Namen von Amumus Skills wie Cursed Touch, bei dem die Verteidigung des Gegners reduziert wird, oder Despair, das durch eine Pfütze um Amumu sichtbar wird und die Gesundheit des Gegners verringert. Damit erfolgt eine narrative Unterstützung der spielimmanenten Game-Play-Elemente. Durch die Verlagerung der narrativen Elemente außerhalb des Spiels auf mehrere mediale Kanäle können diese Informationen vom Spieler jedoch ebenso übergangen werden, da es keinen essentiellen Teil des Spielprinzips darzustellen scheint, sondern den Eindruck einer fakultativen Zusatzinformation erweckt. Die Narration erlangt dadurch einen paratextuellen Status, anstatt wie bei anderen Erzählungen im Vordergrund zu sein.

Teilweise wird die Narration auch durch die Spielmechanik unterstützt. Die Lore von Rengar erzählt von der Begegnung zwischen ihm und Kha'Zix, bei der Rengar sein Auge verlor. Sowohl Rengar, als auch Kha'Zix streben nach einem weiteren Kampf und Rache – Rengar, um das eigene Selbstbewusstsein wieder aufzubauen, Kha'Zix um ihn aufzufressen und dadurch seine eigene Stärke zu vergrößern. Beide werden auch eindeutig durch die Freund/Feind-Sektionen der Lore als Rivalen gekennzeichnet. 6

Bei der Begegnung von Rengar und Kha'Zix im Spiel – vorausgesetzt sie spielen in unterschiedlichen Teams –  wird das Duell The Hunt is On! getriggert, das dem Sieger spezielle Vorteile bietet. Die besonderen Voraussetzungen sind dabei: es müssen alle Spieler der beiden Teams noch am Leben sein und Rengars Bonetooth Necklace bereits über mehr als zehn Kills verzeichnen. Kha'Zix muss dagegen bereits drei Evolutionspunkte verbraucht haben. Rengar kann durch das Event die Attribute des Items verbessern, welches ihm eine bessere Sicht im Gebüsch und weitere Boni mit sich bringt. Kha'Zix bekommt dagegen einen vierten Evolutionspunkt, welcher ebenso Boni für den weiteren Spielverlauf bedeutet. 7 Narration und Spielmechanik werden auf diese Weise miteinander verknüpft, ohne dass es dem Spieler deutlich vor Augen geführt wird. Ein durchschnittlicher Spieler, der kein besonderes Augenmerk auf die Lore- oder die Wiki-Seiten der jeweiligen Champions legt, könnte von dieser Besonderheit innerhalb seiner Spielerkarriere niemals erfahren, da nicht nur die Kombinationen der Spielfiguren so vielfältig sind, sondern das Duell spezielle Voraussetzungen hat. Zusätzlich findet sich diese Information nicht im Client oder auf den offiziellen Seiten der Champions.

Der Einfluss der Narration auf die Spielmechanik und das damit verknüpfte Wissen über die Champions, das über unterschiedliche Kanäle gewonnen werden muss, macht damit deutlich, dass die Narration von LoL auf unterschiedlichen medialen Plattformen stattfindet. Es ist dabei keine durchgehende Erzählung, sondern ein narratives Potential, das durch jeden weiteren Charakter der Spielewelt erweitert wird.

Daneben nutzt Riot Games auch die Möglichkeit zu zeitlich begrenzten Spielmodi – wie beispielsweise dem Ascension-Mode, der geographisch an einem anderen Ort von Runterra spielt als Summoner’s Rift und ein Punktesystem besitzt, das zum Spielsieg führt   – um neue Geschichten zu erzählen. Wie auch die anderen Spielmodi ist dieser ohne ein narratives Vorwissen spielbar. Die minimale Narration kann jedoch, wie bereits bei anderen Champions, über mehrere offizielle Youtube-Videos und die jeweiligen Wiki-Seiten gewonnen werden.

Riot Games vermittelt die Narration um die Welt von LoL somit auf einer transmedialen Ebene. Im Gegensatz zu anderen Franchises, wie The Walking Dead oder Game of Thrones, die transmediales Erzählen in Comic bzw. Buch, Serie und Videospiel bietet, strebt LoL im Moment nicht nach einer abgeschlossenen Narration, die sich durch die unterschiedlichen verwendeten Kanäle nachvollziehen lassen würde. Das ludische Prinzip steht trotz des wachsenden Angebots an Narration derzeit noch im Vordergrund. Die Narration kann  theoretisch durch die Aufspaltung auf mehrere Medien und Kanäle vernachlässigt werden. Sie lässt sich jedoch angesichts der Spielemechanik und der optimalen Championpaarung in den lanes nicht komplett ausschließen. Ein taktisch erfolgreiches Spielen vor dem Hintergrund des Wissens der Narration wird damit gefördert.

Riot Games ist an der Weiterführung von Narration deutlich interessiert. Diese wird vor allem in Zusammenhang mit der Community entwickelt: Mitarbeiter von Riot Games befragen dabei die Spieler gezielt in den Foren und Boards nach ihren Wünschen. 8 Neben dem offiziellen Bereich, der von Riot Games selbst veröffentlicht wird, existieren bei LoL – wie auch bei anderen Fandoms – eigene Theorien zu den Leerstellen der Narration. Daraus entwickeln sich eigene nicht kanonische Narrationen, die aber einer Vielzahl an Spielern bekannt sind. Dabei beschränkt sich die Narration nicht nur auf das Verfassen von Geschichten in den Foren selbst, sondern umfasst auch Wallpapers und Comics. Dies wird teilweise durch die Veröffentlichungen auf der Homepage von Riot Games von offizieller Seite unterstützt. Auch Riot Games selbst publiziert nicht nur Videos, die im Client enthaltenen Lores der Champions oder Musik zu den Hintergründen von LoL, sondern auch andere Formen von Narration. Bis zum Patch 4.2 enthielt der Client von LoL noch einen Zugang zum Journal of Justice, einer fiktionalen Zeitung des LoL-Universums. 9 Diese informierte die Summoners – mächtige Zauberer, deren Rolle die Spieler in LoL einnehmen – über die Geschehnisse der fiktionalen Welt Runterra und übernahm gleichzeitig die Funktion einer Chronik. Der Grund für das Absetzen des Journals war die journalistische  Form der Artikel.

The Journal of Justice is limited in that it can only contain in-setting journalistic articles. We have found that these limitations are preventing us from providing you with the background and stories that we really want to share with you, ones that will better appeal to a broad audience. 10

Die Entwickler stellten ganz richtig fest, dass nicht jedes Medium gleich gut für eine bestimmte Form von Narration geeignet ist. Darauf macht auch Marie-Laure Ryan in ihrem Aufsatz zu transmedialem Erzählen aufmerksam:

„When it comes to narrative abilities, media are not equally gifted” 11

Die Narration von LoL beschränkt sich deswegen nicht nur auf Text-basierte Medien, sondern verwendet auch reine filmische Sequenzen zur Vorstellung der Champions. Darin entfernt sie sich von der an Sprache orientierten Definition der Erzählung, die sich beispielsweise bei Genette findet. 12

Das kürzlich erschienene Video zum neuen Champion Bard verzichtet gänzlich auf jegliche sprachliche Narration und versucht dadurch allgemein für den weltweiten Spielerkreis zugänglich zu sein. Die dreiminütige Sequenz bietet jedoch wie viele andere narrative Zusätze der fiktionalen Welt von LoL nur einen kurzen Blick auf den Champion. Allein aus dem Clip ist zu entnehmen, dass Bard eine beschützende Funktion übernimmt und ein Wesen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ist, welches zwischen den Orten bzw. Welten wandern kann. In Verbindung mit anderen Kanälen wird der Hintergrund seiner Geschichte erst deutlich. Seine Lore bringt ihn erst eindeutig in Zusammenhang mit Runterra.

The celestial vagabond known only as Bard dwells beyond the physical universe in realms unknown to man. Manifesting when others threaten the cosmic equilibrium, the ancient caretaker acts with speed and intent, only returning to his endless watch once he has steered Runeterra from catastrophe. 13

Auf einer weiteren externen Seite wird das Wissen von Runterra um die Existenz von Bard durch einen Erzähler an einem animierten Lagerfeuer im Kreis von drei Zuhörern und stimmungsvoller Musik inszeniert. 14 Zusätzlich wird das Verständnis durch die spielmechanischen Elemente des Charakters unterstützt. Es wird dadurch deutlich, dass erst der Gesamteindruck, der durch die unterschiedlichen Kanäle vermittelt wird, es vermag ein komplettes Bild über den Champion zu liefern.

Das Nutzen von vielfältigen Medien für die Narration von LoL stellt die unterschiedlichen Fähigkeiten der genutzten Medien in Zusammenhang mit ihrem narrativen Potential zur Schau, welches auch Linda Hutcheon deutlich macht:

„Telling a story in words, either orally or on paper, is never the same as showing it visually and aurally in any of the many performance media available.“ 15

Zusätzlich fordert die Bandbreite der Medien die eigenständige Orientierung des Spielers in den angebotenen narrativen Bruchstücken. Narration wird durch unterschiedliche Kanäle stets nur angeboten und nicht aufgezwungen, sodass das eigene Interesse des Spielers sein Wissen über die fiktionale Welt bestimmt.

Die Problematik, die transmediales Erzählen mit sich bringt, zeigt sich jedoch auch am  ständig möglichen Verschwinden einzelner Elemente. Das Journal of Justice, das derzeit nur aus archivarischen Zwecken in der inoffiziellen Wiki von LoL existiert, macht dieses Phänomen deutlich. Die Instabilität bestimmter Kanäle (z.B. Youtube, das nach eigenen Richtlinien Videos löschen kann, als Plattform für die Veröffentlichung filmischer Sequenzen) führt auch die Schwierigkeit einer kohärenten, linearen und unveränderbaren transmedialen Narration vor Augen. Stattdessen können Inhalte immer wieder editiert, redigiert und damit verändert werden, wodurch nicht nur eine Fluidität der Narration möglich gemacht wird, sondern auch die Vergänglichkeit und Veränderlichkeit der Medien demonstriert wird.

Durch dieses Potential des transmedialen Erzählens bilden sich zunehmend von offizieller wie inoffizieller (Fan-)Seite betriebene Archive, welche die unterschiedlichen Versionen der Narration festzuhalten versuchen. Archivierung und transmediales Erzählen scheinen aus diesem Grund einen untrennbaren wiederum transmedialen Hintergrund zu bilden. Es wird darin deutlich, dass transmediales Erzählen eigenen Regeln folgt und sich nicht nur mit bekannten Erzähltheorien des Films oder des schriftlichen Diskurses beschreiben lässt. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit der Erarbeitung spezieller transmedialer Erzähltheorien, die besonders auf die Instabilität der Medien, ihrer transmedialen Verflechtung und der damit zusammenhängenden Narration eingehen.

  1. http://www.riotgames.com/our-games [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  2. http://majorleagueoflegends.s3.amazonaws.com/lol_infographic.png [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  3. Vgl dazu: https://youtu.be/0AvWV6Mk374 [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  4. http://na.leagueoflegends.com/en/creative-spotlight/curse-sad-mummy [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  5. http://gameinfo.na.leagueoflegends.com/en/game-info/champions/amumu/#champion-lore  [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  6. Lore zu Kha'Zix: http://gameinfo.na.leagueoflegends.com/en/game-info/champions/khazix/#champion-lore; Lore zu Rengar: http://gameinfo.na.leagueoflegends.com/en/game-info/champions/rengar/ [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  7. Vgl dazu: http://leagueoflegends.wikia.com/wiki/Rengar/SkinsTriviagl [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  8. Vgl dazu: boards.na.leagueoflegends.com/en/c/story-art/EEPKkkVp-what-champs-do-you-want-to-hear-more-about  [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  9. http://leagueoflegends.wikia.com/wiki/Category:The_Journal_of_Justice_Issues [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  10. http://forums.na.leagueoflegends.com/board/showthread.php?t=1680645 [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  11. Marie-Laure Ryan “On the Theoretical Foundations of Transmedial Narratology”. In: Jan Christoph Meister (Hg.) Narratology beyond Literary Criticism. Mediality, Disciplinarity. Berlin/ New York: Walter de Gruyter. 2005. S. 1-24. Hier: S. 1.[]
  12. Erzählung [bezeichnet] die narrative Aussage, den mündlichen oder schriftlichen Diskurs [discours], der von einem Ereignis oder einer Reihe von Ereignissen berichtet“ In: Gerard Genette. Die Erzählung. München: Wilhelm Fink. 1994. S. 15. []
  13. http://na.leagueoflegends.com/en/champion-reveal/bard-wandering-caretaker [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  14. http://na.leagueoflegends.com/en/champion-preview/wonder-above [zuletzt abgerufen am: 24.03.2015].[]
  15.  Linda Hutcheon u. Siobhan O'Flynn: A Theory of Adaptation. Oxon ; New York, NY: Routledge 2013. S. 23.[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Kutscherow, Maria: "Beyond the Killing Spree - Transmediales Erzählen in "League of Legends"". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 30.03.2015, https://paidia.de/beyond-the-killing-spree-transmediales-erzahlen-in-league-of-legends/. [29.03.2024 - 16:02]

Autor*innen:

Maria Kutscherow

Maria Kutscherow absolvierte ihr Bachelor-Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilans-Universität München. Derzeit studiert sie Nordische Philologie, sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft im Doppel-Master an der Ludwig-Maximilians-Universität München.