Gender und Pixel: Damsel in Distress, Gender und Gaming

15. Dezember 2014

Die Gaming-Community ist ein „boy’s club“. 1 Infantil-misogyne Inzidente wie das aktuelle „#Gamergate“ 2 lassen hieran keinen Zweifel zu. Angesichts dessen ist die Frage mehr als berechtigt, wer oder was den entsprechenden Diskurs initiiert bzw. aufrechterhält.

Mögliche Ursachen gibt es viele; dies liegt bei einem so komplexen und vielschichtigen Diskurs in der Natur der Sache. So wurde bereits erforscht, inwiefern die Darstellungen von Frauen in unterschiedlichen Medien mit Gaming-Bezug mit gängigen misogynen Vorurteilen einhergeht, beispiels­weise mit Blick auf Computerspielmagazine 3 oder auf Spielverpackungen 4. Obgleich zweifellos Korrelationen zwischen den abgebildeten weiblichen Figuren und misogynen Stereotypen bestehen, handelt es sich jedoch sowohl bei Magazinen wie auch bei Verpackungen um Medien, die sich vom eigentlichen Spiel klar unterscheiden. Die Einflüsse auf entsprechende Darstellungen stammen vermutlich nicht ausschließlich von Spielinhalten, sondern müssen in spielexternen Diskursen gesucht werden.

Damsel in Distress

Die Teilnahme der eigentlichen Computerspiele an der Bildung frauen­feindlicher Stereotype rückte zum ersten Mal mit den „Damsel in Distress“­Videos von Anita Sarkeesian ins Licht der breiten Öffentlichkeit. 5 Die drei­teilige Videoreihe greift ein Thema auf, das in den Video Game Studies nicht zuletzt seit der Publikation von Dietz 6 intensiv diskutiert wird. Dietz über­trug auch den Begriff „Damsel in Distress“ (dt. „Jungfrau in Nöten“) aus anderen Kunst- und Kulturwissenschaften ins neue Medium. Der Terminus bezeichnet das insbesondere im Film und im Computerspiel häufig re­produzierte Setting, in welchem eine weibliche und häufig auf ihr Äußeres reduzierte Figur von einem männlichen Antagonisten gefangengenommen oder sonst wie in Bedrängnis gebracht wird und von einem – wiederum männlichen, aber vor allem starken und tapferen – Protagonisten gerettet werden muss, was diskriminierenden Stereotypen entspricht, weil es allein männlichen Protagonisten Handlungsmacht zuschreibt.

Es kann gegen die Versuchsanordnung von Dietz vorgebracht werden, dass sie Spiele analysiert, in denen eine Untersuchung von Gender-Aspekten keinen Sinn ergibt, wie beispielsweise Sportspiele, die eine ausschließlich männliche Sportliga darstellen. Darüber hinaus sind bestimmte Kon­klusionen, z.B. diejenige, dass Frauen im Spiel bisweilen als „evil or as obstacles to the goal of the game“ 7 vorkommen, nicht aussagekräftig, da ein Großteil der Widersacher in den untersuchten Werken entweder männlich oder androgyn bzw. nicht-humanoid ist. Nichtsdestotrotz ist die Tatsache nicht von der Hand zu weisen, dass die Damsel in Distress insbesondere in Spielen für ein jüngeres Zielpublikum seit dem Siegeszug der Videospiel­konsolen in den 80er Jahren durchgehend prominent ist. Im Folgenden soll jedoch versucht werden, aufzuzeigen, dass das vermeintlich simpel gestrickte Damsel-in-Distress-Setting nicht per se misogyn ist und sein Beitrag zur Stereotypisierung der Frau vielmehr aus einer simplifizierenden Interpretation desselben entsteht. Dies soll auf Basis von drei Argumenten dargelegt werden:

1) Das Damsel-in-Distress-Setting ist komplexer als von der Forschung häufig angenommen.
2) Die Identifikation insbesondere junger Spielender mit dem Geschlecht der Spielfigur wird jeweils präsupponiert, aber nicht begründet.
3) Die artifizielle Verfremdung des Inhalts spielt eine entscheidende Rolle bei dessen Perzeption, wird aber ausgeblendet.

Abschließend soll dargelegt und begründet werden, welche Arten von Spielinhalten den frauenfeindlichen Diskurs tatsächlich negativ zu beein­flussen vermögen. Darüber hinaus wird darauf verwiesen, dass eine nicht aus dem Spielen resultierende negative Beeinflussung der Diskurs­teilnehmer, die zu einem bestimmten Verhalten innerhalb der Gaming-Community führt, wahrscheinlicher ist, als eine Beeinflussung seitens der Spielinhalte selbst.

Die Komplexität des Damsel-in-Distress-Settings

Die „Jungfrau in Nöten“ wird in der Diskussion häufig pauschal abgehandelt, was der Mehrschichtigkeit des Phänomens nicht gerecht wird. Wie un­schwer zu erkennen ist, handelt es sich bei dieser Konstellation um ein beinahe vollständiges Strukturanalogon zur Situation der hohen Minne, wie sie aus dem mittelalterlichen Minnesang bekannt ist – zumindest wenn man der Situation im Spiel eine darunterliegende Liebeshoffnung des männ­lichen Protagonisten unterstellt. Hier wie dort, und insbesondere im von Sarkeesian häufig genannten Beispiel, des Super Mario-Franchise, 8 ist das

„Subjekt der Liebeserfahrung […] ein männliches Ich, Voraussetzung des Sprechens die Situation eines Mannes, der außerhalb der gesellschaftlich sanktionierten Form der Ehe eine Frau begehrt. Die Geschlechterbeziehung ist nach dem sozialen Interaktionsmuster der Vasallität modelliert: In der Rolle eines ,Vasallen‘ bemüht sich der Mann durch seinen ,Dienst‘, die Zuneigung seiner ,Herrin‘, seiner ,Dame‘, zu erlangen. Der aus dem Begehren resultierende Spannungszustand bleibt unaufgelöst […].“ 9

Ebenso wie in der hohen Minne bemüht sich der Klempner Mario um die Gunst seiner Herrin. Einzig sein Dienst besteht nicht lediglich im Lieder­trällern, sondern in knochenharter und der Gesundheit meist abträglicher Arbeit. Dies konnotiert ihn jedoch nicht nur – wenn überhaupt – als heldenhaften Vertreter des vermeintlich stärkeren Geschlechts, sondern als bestenfalls entbehrlichen Vasallen, der sein(e) virtuellen Leben aufs Spiel zu setzen bereit ist, um die sozial höher gestellte Frau zu retten. Das in den jugendfreien Computerspielen freilich rein platonisch dargestellte Begehren des Protagonisten bleibt, im Computerzeit- wie im Mittelalter, unerfüllt. Mario muss sich meist mit einem Schmatzer auf die Knollennase zufrieden geben, was ihm jedoch bereits die Schamesröte ins Gesicht steigen lässt, wodurch er seine Inferiorität der Herrin gegenüber auch in der das Spiel abschließenden Sequenz firmiert. In anderen Titeln, insbesondere solchen, die nicht auf ein junges Publikum zugeschnitten sind, ist eine erotische Absicht der Protagonisten zwar vorhanden und wird auch als Belohnung in Aussicht gestellt. Dies schmälert jedoch nicht die Tatsache, dass die zu rettenden Personen einen höheren Status aufweisen als die vermeintlich superioren Protagonisten.

Zurück zu Mario: Die Vernachlässigung der unvereinbaren Gegensätze zwischen diesem und der zu rettenden Peach erstaunt. Besonders auffällig sind die sozialen Differenzen – Mario ist schließlich Klempner und Peach immerhin eine Prinzessin (!). Dass sie kein Einzelfall ist, bestätigt auch Dietz: „Women were portrayed in this manner [i.e. as Damsel in Distress, BP] 21% of the time (N=7). In three of these cases, the female victim was the princess of a kingdom.“ 10 Doch dieses Faktum wird mehr als häufig ausgeklammert, ebenso wie die Tatsache, dass die Prinzessin – oder die begehrte Dame im Allgemeinen – ausnahmslos als attraktiv, der scheinbare Held jedoch, insbesondere in auf jüngeres Publikum adressierten Spielen, häufig als objektiv hässlich und bestenfalls als bemitleidenswert niedlich porträtiert wird. Mario ist verhältnismäßig alt, adipös, schlecht angezogen und ent­spricht auch sonst keinem ästhetischen Ideal. Peach hingegen ist jung, schlank, perfekt gekleidet und auch sonst in jedem Belang ihres Prinzess­innenstatus würdig. Es ist entsprechend nur folgerichtig, wenn das unangemessene Begehren des alternden Handwerkers am Spielende sozial wieder zurechtgerückt wird.

Es zeigt sich, dass die Damsel-in-Distress-Situation komplexer ist, als sie zunächst zu sein scheint. Wenn jemand befreit werden muss, dann muss sie bzw. er zunächst die Voraussetzung erfüllen, überhaupt befreienswert zu sein. Dies degradiert den Befreienden zum Minnenden, der seinen aus­sichtslosen Dienst zu leisten sich verpflichtet fühlt, wohlwissend, dass ihn hierfür kein Lohn erwarten wird und kann. Der Protagonist, der vorder­gründig als Held erscheint, erweist sich als zwar liebenswertes, aber im Grunde austauschbares Mittel zum Zweck.

Gegen dieses Argument ließe sich einwenden, dass die Komplexität des Settings von Spielenden, auch und insbesondere von denjenigen jüngerer Jahrgänge, nicht erfasst wird, was zur Folge hat, dass sie dieses ebenso unterkomplex wie die Forschung interpretieren. Dies ist aus zwei Gründen problematisch; einerseits, weil sich die Identifikation zwischen Spielenden und Spiel­figuren nicht in erster Linie aufgrund des Geschlechtes der Spielfigur einstellt, andererseits, weil die artifizielle Verfremdung im Video­spiel eine Gleich- oder Ähnlichsetzung der dargestellten Inhalte mit der Lebenswelt unterminiert.

Die Geschlechterrolle im Identifikationsprozess

Die Behauptung, dass Computerspiele, welche die Damsel-in-Distress-Situation zum Ausgangspunkt haben, Spielende hinsichtlich ihrer Gender­perzeption negativ beeinflussen könnten, setzt implizit – und häufig auch unausgesprochen – voraus, dass die Identifikation mit der Spielfigur zu einem entscheidenden Teil über das Geschlecht letzterer stattfindet. Dies ist, wenn nicht empirisch unhaltbar, so doch zumindest stark zu bezweifeln. Zunächst ist anzumerken, dass Identifikation – analog zum oben be­sprochenen Setting per se – bidirektional funktioniert. Es werden zwar durchaus Charakteristika des gespielten Avatars, oder zumindest gewisse Verhaltensweisen, die man für typische Charakteristika desselben hält, übernommen; vice versa werden jedoch auch persönliche Eigenschaften in die Spielfigur projiziert. Martey et al. weisen nach, dass männliche Spieler, die in einem MMORPG (Massive Multiplayer Online Role-Playing Game) für ihren Avatar das nicht korrespondierende, i.e. weibliche, Geschlecht wählen, zwar gewisse Verhaltensweisen, die für weibliche Spielende typisch sind, partiell übernehmen, andere hingegen überhaupt nicht. 11

Beinahe wichtiger scheint jedoch die Tatsache, dass das Geschlecht zwar mit bestimmten Verhaltensweisen im Spiel korreliert, vermeintliche Geschlech­terrollen jedoch keineswegs, was wiederum die partielle Verhaltens­anpassung einiger Spielender zu reiner Koinzidenz reduzieren könnte. Es besteht also ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Geschlecht der Spielenden und deren Spielverhalten, die Genderrollen sowie das Geschlecht des Avatars hingegen sind den Spielenden mehrheitlich herzlich egal. Martey et al. resümieren, die Wahl des Avatargeschlechts „may be less a matter of identity expression, and more a strategic selection of available multi-modal codes that players take up in their navigation of this digital space.“ 12 Es spricht folglich wenig dagegen, dass sich Mädchen, die als Mario spielen, mit Mario weitaus stärker identifizieren können als mit Peach.

Dies liegt nicht zuletzt daran, dass ein weitaus wichtigerer Faktor existiert, der die Identifikation mit der Spielfigur determiniert, namentlich die Interaktion mit der Spielfigur an sich. Bereits in den frühen Anfängen der Video Game Studies identifiziert Turkle eines der wichtigsten Allein­stellungsmerkmale des Computerspiels gegenüber anderen Medien:

„When you play a video game you enter into the world of the programmers who made it. You have to do more than identify with a character on the screen. You must act for it. Identification through action has a special kind of hold. […] For many people, what is being pursued in the video game is not just a score, but an altered state.“ 13

Sowohl die Mächtigkeit der Interaktion als auch den veränderten Zustand, in den man beim Spielen übergeht (dazu weiter unten mehr), können wohl die meisten Gamerinnen und Gamer ohne Weiteres nachvollziehen. Wenn ein männlicher Spieler als Lara Croft spielt, dann ist er Lara Croft, wenn er als Bayonetta spielt, ist er Bayonetta, wenn er als Faith spielt, ist er Faith. 14 Es gibt, trotz der häufig anders lautenden opinio communis, keinen nachvoll­ziehbaren Grund, warum dies bei weiblichen Spielern anders sein sollte.

Neben der eigentlichen Interaktion kommt darüber hinaus der narrativen Identität eine besondere Rolle zu. Wie in Max Frischs Roman „Mein Name sei Gantenbein“ 15 exemplifiziert und von Paul Ricoeur theoretisch erläutert, 16 vollzieht sich der Identifikationsprozess, also die Findung der Einheit mit sich selbst, in erster Linie mittels narrativer Strukturen. Erzählungen, sei es aus Literatur oder Computerspiel, werden in persönliche, individuelle Geschichten transformiert, die zu einem Teil, wenn nicht gar zum entscheidenden Definiens, des Selbst werden: „Jeder Mensch, nicht nur der Dichter, erfindet seine Geschichten – nur daß er sie, im Gegensatz zum Dichter, für sein Leben hält – anders bekommen wir unsere Erlebnismuster, unsere Ich-Erfahrung nicht zu Gesicht.“ 17 Dies gilt bereits für die einfachen Narrative früher bzw. an ein jüngeres Publikum gerichteter Spiele, insbe­sondere aber für die teilweise hochkomplexen Erzählstrukturen moderner Titel. Es dürfte nachvollziehbar sein, dass gerade die Mischung von Inter­aktion und Narration, also zweier besonders starker Identifikationsfaktoren, von weitaus größerer Bedeutung ist als eine Identifikation rein auf Basis des Avatargeschlechts. 18

Artifizielle Verfremdung

Auch wenn die Identifikation über das Geschlecht der Spielfigur stärker ausgeprägt wäre, als sie es anzunehmenderweise  ist, ließe sich das Argument, dass sich das Damsel-in-Distress-Setting auf die Geschlechter­wahrnehmung im Allgemeinen auswirkt, nur mit Mühe aufrechterhalten. Studien auf diesem Gebiet tendieren häufig dazu, die Möglichkeit – wenn nicht gar die Zwangsläufigkeit – einer entsprechenden Beeinflussung durch Computerspiele unhinterfragt als gegeben hinzunehmen. Diese Präsup­position ist jedoch grundsätzlich in Zweifel zu ziehen.

Allen Bemühungen der Spieleentwickler zum Trotz, ihre Titel so foto­realistisch wie möglich aussehen zu lassen, ist dem Medium Computerspiel eigen, dass es größtenteils mit künstlerisch verfremdeten Inhalten  operiert. Die visuellen Darstellungen unterscheiden sich deutlich von Wahrneh­mungen der Lebenswelt. Es handelt sich, wie oben erwähnt, um einen „altered state“ 19, der in den allermeisten Fällen auch als solcher wahrge­nommen wird. Die Annahme, dass ein Großteil der Spielenden zwischen vermittelter Spielwelt und echter Welt nicht unterscheiden kann, erfreut sich zwar erstaunlicher Beliebtheit, wird aber kontinuierlich von der Wissenschaft verneint. Die Diskussion entbrennt insbesondere, wenn es sich um das Thema Gewalt in Computerspielen handelt. In Gewalt darstellenden Spielen wird häufig die Ursache für gewalttätiges lebens­weltliches Verhalten gesucht; Befürworter dieser These verfallen jedoch, wie zuletzt von Markey et al. aufgezeigt, 20 dem klassischen „post hoc ergo propter hoc“-Fehlschluss und wandelt Koinzidenz in Kausalität um. Markey et al. legen dar, dass keinerlei Korrelation zwischen aggressivem Verhalten und dem Spielen von vermeintlich gewalttätigen Spielen besteht. Erstaun­licherweise konnte bei denjenigen Probanden, welche entsprechende Spiele konsumieren, sogar eine leichte Tendenz zu verminderter Aggressions­bereitschaft nachgewiesen werden. Angesichts der wiederholten diesbezüglichen Erkenntnisse der Forschung ist es in der Tat rätselhaft, wieso eine Möglichkeit der negativen Beeinflussung in Genderfragen seitens der Computerspiele nicht intensiver diskutiert wird.

Der falsche Sündenbock

Es gilt jedoch einschränkend festzuhalten, dass die Trennung zwischen Spiel und Realität nicht a priori ausgeschlossen werden kann. Für gewöhnlich ist infolge bestimmter Darstellungskonventionen der Anteil an artifizieller Verfremdung, sowohl der Gewalt wie auch der Gender-Stereotype, hoch genug, damit das Spiel als solches erkannt werden kann. Computerspiel-Gewalt ist in diesen Fällen keine echte Gewalt und Computerspiel-Gender kein echtes Gender, unabhängig von der vordergründig realistisch scheinenden Darstellung in modernen Titeln. Problematischer wird es, wenn bestimmte Spiele die Grenze zwischen verfremdeter und nicht-verfremdeter Darstellung zu verschieben oder zu überschreiten suchen. Entsprechende Vorfälle haben meist eine starke soziale Gegenwehr zur Folge, die sich deutlich von ‚gewöhnlichen‘ Debatten über gewalttätige oder sexuell anstößige Inhalte; das jüngste Beispiel hierfür wäre wohl die Kontroverse über das noch nicht erschienene Massenmörder-Spiel Hatred. 21 Nicht zu vergessen sind allerdings auch bestimmte Eroge-Spiele, d.i. größtenteils japanische Spiele mit expliziten sexuellen Inhalten. So löste das Vergewaltigungsspiel RapeLay einen Sturm der Entrüstung aus und wurde in diversen Ländern, inklusive Japan, verboten. 22 Es scheint demzufolge eine intuitiv spürbare Barriere zwischen tolerierbaren, weil verfremdeten, und nicht-tolerierbaren, weil die Realität allzu genau nachahmenden Darstellungen zu geben. Es ist jedoch gegenwärtig noch nicht erforscht, was diese ‚Genauigkeit der Darstellung‘ oder ‚Verfremdung‘ eigentlich sind; mit ästhetischem Realismus sind sie jedoch offensichtlich nicht gleichzusetzen. Und obwohl die intuitive Akzeptanz bzw. Abwehr zwar erstaunlich gut funktioniert, ist sie wissenschaftlich nicht fundiert – ein Desiderat, das ungleich wichtiger scheint als die Stigmatisierung von Damsel-Darstellungen.

Es zeigt sich, dass die Diskussion um die Damsel in Distress keine Probleme löst, sondern nur erzeugt. Sie muss zwangsläufig in einer Sackgasse enden, da sie empirischen Erkenntnissen schlicht nicht standhalten kann. Das Setting ist einerseits viel komplexer, als es die gängige Interpretation des­selben zugestehen möchte, andererseits findet die Identifikation mit der gespielten Figur nicht auf der Basis ihres Geschlechts statt. Schließlich – und besonders wichtig – operiert das Medium Computerspiel mit künstlerisch verfremdeten Darstellungen, die von Spielern entweder explizit als solche erkannt oder zumindest intuitiv von der realen Welt getrennt werden.

Dies soll jedoch das Problem der Misogynie in der Gaming-Community weder negieren noch schönreden. Es existiert und ist gegenwärtig aktueller denn je. Sarkeesian sah sich gar gezwungen, eine öffentliche Rede aufgrund einer Terrordrohung abzusagen. 23 Die Suche nach den Ursachen dieses Verhaltens sollte entsprechend weiterhin im Fokus der Forschung stehen; nur wird man mit der „Jungfrau in Nöten“ voraussichtlich keine passende Antwort finden. Vielmehr gilt es zu untersuchen, ob und inwiefern spiel­externe Diskurse Anteil an dieser Entwicklung haben. 24 Darüber hinaus wäre es wünschenswert, die bis anhin nur intuitiv erfahrene, wissen­schaftlich aber nicht fundierte Grenze zwischen der akzeptablen Ver­fremdung und der – zu Recht – anstößigen Darstellung so genau als möglich zu definieren, um genuin diskriminierenden Inhalten angemessen begegnen zu können.

Verzeichnis der verwendeten Texte und Medien

Spiele

DICE: Mirror’s Edge. 2009.
Core Design/Crystal Dynamics: Tomb Raider. 1996-2013.
Nintendo: Donkey Kong. 1981.
Nintendo: Super Mario Bros. 1985.
Platinum Games: Bayonetta. 2009-2014.

Literatur

Anastasia Salter und Bridget Blodgett: „Hypermasculinity & Dickwolves: The Contentious Role of Women in the New Gaming Public“. In: Journal of Bradcasting & Electronic Media, 56(3), 2012, S. 401-416.
Christopher E. Near: „Selling Gender: Associations of Box Art Representation of Female Characters With Sales for Teen- and Mature-rated Video Games“. In: Sex Roles, 68, 2013, S. 252-269.
Ingrid Kasten: Minnesang. In: Georg Braungart et al. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Berlin: De Gruyter 2007. Bd. I, S. 604-608.
Jesse Fox und Wai Yen Tang: „Sexism in online video games: The role of conformity to masculine norms and social dominance orientation“. In: Computers in Human Behavior, 33, 2014. S. 314-320.
Jos de Mul: „The Game of Life. Narrative and Ludic Identity Formation in Computer Games“. In: J. Goldstein und J. Raessens (Hrsg.): Handbook of Computer Games Studies. Cambridge MA: MIT Press 2005, S. 251-266.
Karen E. Dill und Kathryn P. Thill: „Video Game Characters and the Socialization of Gender Roles: Young People’s Perceptions Mirror Sexist Media Depictions“. In: Sex Roles, 57, 2007, S. 851-864.
Max Frisch: „Mein Name sei Gantenbein“. In: ders.: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, Bd. V, S. 5-320.
Max Frisch: „Unsere Gier nach Geschichten“. In: ders.: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, Bd. IV, S. 262-264.
Melinda C. R. Burgess et al.: „Sex, Lies, and Video Games: The Portrayal of Male and Female Characters on Video Game Covers“. In: Sex Roles, 57, 2007, S. 419-433.
Monica K. Miller und Alicia Summers: „Gender Differences in Video Game Characters‘ Roles, Appearances, and Attire as Portrayed in Video Game Magazines“. In: Sex Roles, 57, 2007, S. 733-742.
Patrick M. Markey et al.: „Violent Video Games and Real-World Violence: Rhetoric Versus Data“. In: Psychology of Popular Media Culture. Advance online publication, 2014.
Paul Ricoeur: Zeit und Erzählung, Bd. 3: Die erzählte Zeit. München: Wilhelm Fink 1985.
Rosa M. Martey et al.: „The strategic female: Gender-Switching and Player Behavior in Online Games“. In: Information, Communication & Society, 17:3, 2014, S. 286-300.
Sherry Turkle: The second self: Computers and the human spirit. New York: Simon and Schuster, 1984.
Tracy L. Dietz: „An Examination of Violence and Gender Role Portrayals in Video Games: Implications for Gender Socialization and Aggressive Behavior". In: Sex Roles, 38, 1998, S. 425-442.

Internetquellen

Alex Hern: Feminist games critic cancels talk after terror threat. In: The Guardian online, 15.10.2014. http://www.theguardian.com/technology/2014/oct/15/anita-sarkeesian-feminist-games-critic-cancels-talk (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014).
Anita Sarkeesian: Damsel in Distress: Part 1 – Tropes vs Women in Video Games. 2013. https://www.youtube.com/watch?v=X6p5AZp7r_Q (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014).
Brian Ashcraft: Rape Games Officially Banned in Japan. In: Kotaku, 2.6.2009. http://kotaku.com/5275409/rape-games-officially-banned-in-japan (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014).
Morten Friedel: Wenn Kritik kommt, hört das Spiel auf. In: Frankfurter Allgemeine online, 28.10.2014. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/gamergate-wenn-kritik-kommt-hoert-das-spiel-auf-13232818.html (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014).
Robin Schwarz: Kontroverse um den Massenmörder-Simulator. In: combobreaker.ch, 17.10.2014. http://combobreaker.ch/2014/10/17/kontroverse-um-den-massenmoerder-simulator/ (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014).

  1. Anastasia Salter und Bridget Blodgett: Hypermasculinity & Dickwolves: The Contentious Role of Women in the New Gaming Public. In: Journal of Bradcasting & Electronic Media, 56(3), 2012, S. 401-416. Hier: S. 402.[]
  2. vgl. Morten Friedel: Wenn Kritik kommt, hört das Spiel auf. In: Frankfurter Allgemeine online, 28.10.2014. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/gamergate-wenn-kritik-kommt-hoert-das-spiel-auf-13232818.html (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014).[]
  3. vgl. hierzu Monica K. Miller und Alicia Summers: Gender Differences in Video Game Characters‘ Roles, Appearances, and Attire as Portrayed in Video Game Magazines. In: Sex Roles, 57, 2007, S. 733-742; Karen E. Dill und Kathryn P. Thill: Video Game Characters and the Socialization of Gender Roles: Young People’s Perceptions Mirror Sexist Media Depictions. In: Sex Roles, 57, 2007, S. 851-864.[]
  4. vgl. hierzu Melinda C. R. Burgess et al.: Sex, Lies, and Video Games: The Portrayal of Male and Female Characters on Video Game Covers. In: Sex Roles, 57, 2007, S. 419-433; Christopher E. Near: Selling Gender: Associations of Box Art Representation of Female Characters With Sales for Teen- and Mature-rated Video Games. In: Sex Roles, 68, 2013, S. 252-269.[]
  5. Anita Sarkeesian: Damsel in Distress: Part 1 – Tropes vs Women in Video Games. 2013. https://www.youtube.com/watch?v=X6p5AZp7r_Q (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014). Der Übersichtlichkeit halber wird hier nur der erste der drei Teile der Reihe aufgeführt.[]
  6. Tracy L. Dietz: An Examination of Violence and Gender Role Portrayals in Video Games: Implications for Gender Socialization and Aggressive Behavior. In: Sex Roles, 38, 1998, S. 425-442.[]
  7. Ebd., S. 435.[]
  8. Angefangen mit Nintendo: Donkey Kong. 1981; der prominenteste Vertreter der Reihe ist wohl Nintendo: Super Mario Bros. 1985.[]
  9. Ingrid Kasten: Minnesang. In: Georg Braungart et al. (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Berlin: De Gruyter 2007. Bd. I, S. 604-608. Hier: S. 604f.[]
  10. Tracy L. Dietz: An Examination of Violence and Gender Role Portrayals in Video Games, S. 435.[]
  11. Rosa M. Martey et al.: The strategic female: Gender-Switching and Player Behavior in Online Games. In: Information, Communication & Society, 17:3, 2014, S. 286-300.[]
  12. Ebd., S. 298.[]
  13. Sherry Turkle: The second self: Computers and the human spirit. New York: Simon and Schuster, 1984, S. 83.[]
  14. Core Design/Crystal Dynamics: Tomb Raider. 1996-2013; Platinum Games: Bayonetta. 2009-2014; DICE: Mirror’s Edge. 2009.[]
  15. Max Frisch: „Mein Name sei Gantenbein“. In: ders.: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, Bd. V, S. 5-320.[]
  16. Paul Ricoeur: Zeit und Erzählung, Bd. 3: Die erzählte Zeit. München: Wilhelm Fink 1985.[]
  17. Max Frisch: Unsere Gier nach Geschichten. In: ders.: Gesammelte Werke in zeitlicher Folge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, Bd. IV, S. 262-264, hier S. 263.[]
  18. Vgl. hierzu Jos de Mul: The Game of Life. Narrative and Ludic Identity Formation in Computer Games. In: J. Goldstein und J. Raessens (Hrsg.): Handbook of Computer Games Studies. Cambridge MA: MIT Press 2005, S. 251-266.[]
  19. Sherry Turkle: The second self: Computers and the human spirit. New York: Simon and Schuster, 1984, S. 83.[]
  20. Patrick M. Markey et al.: Violent Video Games and Real-World Violence: Rhetoric Versus Data. In: Psychology of Popular Media Culture. Advance online publication, 2014.[]
  21. Vgl. Robin Schwarz: Kontroverse um den Massenmörder-Simulator. In: combobreaker.ch, 17.10.2014. http://combobreaker.ch/2014/10/17/kontroverse-um-den-massenmoerder-simulator/ (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014).[]
  22. vgl. Brian Ashcraft: Rape Games Officially Banned in Japan. In: Kotaku, 2.6.2009. http://kotaku.com/5275409/rape-games-officially-banned-in-japan (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014).[]
  23. Alex Hern: Feminist games critic cancels talk after terror threat. In: The Guardian online, 15.10.2014. http://www.theguardian.com/technology/2014/oct/15/anita-sarkeesian-feminist-games-critic-cancels-talk (Zuletzt aufgerufen: 13.11.2014).[]
  24. Vgl. Jesse Fox und Wai Yen Tang: Sexism in online video games: The role of conformity to masculine norms and social dominance orientation. In: Computers in Human Behavior, 33, 2014. S. 314-320.[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Peric, Bojan: "Gender und Pixel: Damsel in Distress, Gender und Gaming". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 15.12.2014, https://paidia.de/gender-und-pixel-damsel-in-distress-gender-und-gaming/. [19.04.2024 - 22:30]

Autor*innen:

Bojan Peric

Bojan Peric studierte Germanistik, Philosophie und Computerlinguistik an der Universität Zürich und promoviert gegenwärtig ebenda. Daneben ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich digitaler Diskursanalyse an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften tätig. Sein Forschungsinteresse gilt in erster Linie der Verbindung von Narration und Interaktion im digitalen Spiel.