„Killing in the Game of…“ - Zur filmischen Adaption von 'Resident Evil'

21. März 2014
Abstract: Dieser Beitrag stellt die Frage nach dem ästhetischen Mehrwert von Videospiel-Filmadaptionen am konkreten Beispiel von Resident Evil. Auf der Suche nach der medienspezifischen Besonderheit des 2002 unter Regie von Wes Anderson auf Basis der Horror-Spielserie entstandenen Films identifiziert er die ästhetische Verfahren von Spielvorlage und Filmumsetzung und stellt sie einander gegenüber: Wie evozieren beide Medienprodukte die konventionell mit dem Horrorgenre assoziierten Gefühlsregungen wie Angst, Furcht, Grauen oder Schrecken? Als mögliche Antwort auf die Anfangs gestellte Frage nach dem Mehrwert der Adaption präsentiert der Beitrag schließlich das Spiel der intermedialen Referenz zwischen den beiden Medien.

Videogames und das Erbgut des Films

In ihrem weitverbreiteten Werk ‚Remediation: Understanding New Media‘ formulieren Richard Grusin und Jay David Bolter eine Hypothese, der zufolge neu aufkommende Medienformen die ihnen vorhergegangenen Medienformen absorbieren und in modifizierter Fassung neu gebären. Dieser Vorgang vollzieht sich zum Einen auf der formal-technischen Ebene, beispielsweise durch das Anschließen einer 16-bit Videospielkonsole an ein ursprünglich zum Rundfunkempfang entwickeltes Fernsehgerät 1.  Um als technisches Medium in Betrieb zu gehen, nutzt es beinahe parasitär spezielle Funktionen des älteren Mediums. Als grundlegend für die vorliegende Untersuchung erweist sich jedoch in erster Linie die andere Dimension der ‚Remediation‘: jene des vermittelten Inhaltes 2.  Diese soll nun am Beispiel des 1996 für die PSX sowie 1997 für PC und Sega Saturn erschienen (sowie 2002 für die Nintendo Gamecube neu aufgelegten) ersten Teils des Resident Evil-Franchises nachvollzogen werden, an dem der Einfluss des Vorgänger­mediums Film, sowie ein Stück weit auch der Literatur bemerkenswert deutlich wird.

Speziell in Bezug auf die Struktur seiner Erzählung weist Resident Evil sowohl Parallelen zum für das konventionelle Hollywoodkino paradigma­tischen Heldenreise als auch zum Rätsel­schema des Kriminalromans beziehungsweise -films auf. Darüber hinaus werden die Vorbilder Film und Literatur auch hinsichtlich der narrativen Vermittlung deutlich. So wird die Erzählung einerseits – wie seit einigen Jahren in weiten Teilen der Videospiel­landschaft üblich – von Zwischen­sequenzen, welche die formalen Verfahren (Mise-en-Scène, Kamera, Schnitt) des Medium Films imitieren, mediatisiert. Anderer­seits wird ebenso konventionell anhand von Tagebüchern oder wissenschaftlichen Dokumenten entnommenen Text­fragmenten eine die Vorgeschichte rekonstruierende Erzählung vermittelt. Bemerkenswert erscheint hingegen das narrativ akzentuierte, sukzessive und gleichermaßen konsequente Dezimieren der Heldengruppe durch eine todbringende Bedrohung, welches offen­sichtlich vom US-amerikanischen Slasher-Kino der 70er und 80er Jahre, also Filmen wie Predator, Alien, der Friday the 13th-Reihe und ganz besonders von John Carpenters und Wes Cravens Klassikern wie Halloween, The Thing und The Hills have Eyes inspiriert wurde. Das Motiv der vom naturwissen­schaftlichen Fortschritt hervor­gerufenen Zombie­fizierung des Menschen wirkt wiederum als wäre es unmittelbar der Thematik der Dead-Triologie von George A. Romero entnommen worden, was kein Zufall ist, wie Shinji Mikami im Rahmen eines Interviews bestätigte 3.

Evident wird dies hinsichtlich des Settings einer unterirdischen Forschungs­station, für welche Romeros Day of the Dead unmittelbar Modell gestanden zu haben scheint. Das mutmaßlich nach dem Vorbild der primär mit ‚Gothic Horror‘ assoziierten viktorianischen Architektur entworfene, mit tödlichen Fallen gespickte Herrenhaus der ersten Spielhälfte greift hingegen das aus Filmen wie House on Haunted Hill oder auch The Addams Family bekannte Horrorfilm­klischee des ‚Haunted House‘ auf. Im aus Realfilma­ufnahmen bestehenden Intro von Resident Evil wird explizit deutlich, dass sich das Spiel seiner medialen Vorbilder und somit seinem Status als ‚Remediation‘ vollständig bewusst ist. Es ist dabei nicht nur die Indexi­kalität des Film­bildes, sondern auch die unübersehbare Ähnlichkeit Albert Weskers zu blondierten Actionstars wie Jean-Claude van Damme oder Dolph Lundgren sowie die an billigste ‚Exploitation-Filme‘ angelehnte B-Movie-Ästhetik, die augenzwinkernd auf das ‚Vorgänger­­medium‘ Film verweist.

Auch wenn das jüngere Medium selbstverständlich auf unterschied­lichste Art und Weise auf das ältere Modell rückwirkt – man denke diesbezüglich nur an Tron – so kann der Mehrwert der Adaption eines Videospiels, welches so explizit seinen filmischen Vorbildern huldigt, durchaus in Frage gestellt werden. Nichtsdesto­trotz wagte sich Paul W.S. Anderson im Jahr 2002 an dieses Projekt heran und brachte ein mit Milla Jovovich (zum damaligen Zeitpunkt) durchaus prominent besetztes Genre­spektakel in die Kinos.

Worin die ästhetische Qualität, oder anders formuliert eine medien­spezifische Besonderheit dieser Adaption liegen könnte, soll nun im nachfolgenden Text untersucht werden. Allgemein sollen ästhetische Verfahren von Spielvorlage und Filmumsetzung identifiziert sowie vergleichend gegenüber­gestellt werden, welche die konventionell mit dem Horrorgenre assoziierten Gefühlsregungen wie Angst, Furcht, Grauen oder Schrecken evozieren. Zunächst erscheint ein diesbezüglicher Blick auf die Strategien des für das Medium Computerspiel konstitutiven Prinzip der Interaktivität vonnöten.

Videogames und das Erbgut des Films "It doesn't work!" - Das Paradigma des Kontrollverlusts

In einem erhellenden Beitrag für das deutschsprachige Videospielmagazin ‚Retro‘ 4 untersucht Dan Gorenstein die Kontrollmöglichkeiten des Spielers im Survival-Horror-Genre. Dabei begeben sich die Protagonisten der frühen Resident Evil-Ableger – anders als die Avatarfiguren konventioneller Action-Adventures – nicht zwingend in die Richtung in die der Joystick des Eingabegeräts bewegt wird. Stattdessen laufen sie unabhängig von der vermittelnden Kameraperspektive bei nach oben gedrückten Bewegungsstick nach vorne, während eine Links- beziehungsweise Rechtsdrehung die Figur lediglich entsprechend ausrichtet, nicht aber vorankommen lässt. Dementsprechend gestaltet sich die Handhabung der Spielfiguren, in Kombination mit den willkürlich wechselnden Kameraperspektiven sowie den engen, verwinkelten Räumlichkeiten, mitunter äußerst heikel und nur wenig intuitiv. Diese Form der indirekten Steuerung muss als zwischen Rezipient und Spielfigur geschaltetes und dementsprechend die Spielkontrolle störendes Hindernis verstanden werden. Gorenstein zufolge ist der hierdurch bedingte Kontrollverlust des Spielers „nicht als Frustrationsmoment gedacht, sondern soll die Angst schüren vor der Begegnung mit Widersachern“ 5 , indem „bei jeder Konfrontation [mit einem Gegner] ein Gefühl von Unsicherheit entsteht“ 6.

Auch wenn selbstverständlich in erster Linie handfeste ökonomische Interessen im Sinne einer wirtschaftlichen Ausbeutung eines populären Videospiel-Franchises den Grund für die Filmadaption Resident Evils darstellen, so kann doch erwartet werden, dass das Medium Computerspiel die Filmadaption ästhetisch zu bereichern vermag. Dementsprechend ist der vorgestellte Aspekt des Kontrollverlustes ein Element, welches in der Kinoversion Widerhall finden könnte. Daher stellt auch das Motiv des Kontrollverlustes den Kontext dar in dem Filmadaption und Videospielvorlage komparativ untersucht werden sollen.

"When we realized what was happening…" – Unheimliche Blicke

Dem Paradigma der beein­trächtigten Kontrolle der Spielfigur unterliegt auch die formal inszena­torische Ebene der ersten Teile der Resident Evil-Reihe, die dem Rezipienten das Spielgeschehen mithilfe fixierter, nicht individuell auszurichtender Kamera­einstellungen präsentiert, die von der Spielfigur durchlaufen werden müssen. Meist suggerieren Blickwinkel und Distanz zum (vermeintlichen) Subjekt 7  – also im Beispiel­text zu den Avatar­figuren Chris Redfield und Jill Valentine – eine objektive Kamera­einstellung.

Gelegentlich wird diese Aneinander­reihung objektiver Perspekti­vierungen von Einstellungen mit den Charakter­istika der Subjektiven unterbrochen. Exemplifizieren lässt sich diese Struktur anhand einer Einstellung, welche die virtuelle Kamera übergangslos im Kontrast zu allen zuvor beobacht­baren Shots außerhalb des Handlungs­ortes positioniert und das Spiel­geschehen mittels des Blicks durch ein Fenster in das Haus hinein vermittelt.  Das vom Fenster verursachte explizite Hervorheben des Kamerablickes ist also der inszenatorische Kniff, der in diesem Fall Subjektivität suggeriert. 8

Ebenso organisiert das ‚Continuity Editing‘ (im Kontext der psycho­analytischen Filmtheorie auch ‚suture‘ genannt) – eine Schnitt­konvention des Hollywoodkinos – das Alternieren subjektiver und objektiver Kamera­einstellungen. Konträr zum vorliegenden Fall zielt dieses Verfahren jedoch darauf ab „den Zuschauer derart in die Erzählung ‚einzunähen‘, dass die Illusion von Kohärenz und Kontinuität nicht nur in der äußeren Handlung, sondern auch für die verinner­lichte Subjektivität entsteht“ . Slavoj Zizek zufolge setzt dieses Paradigma unter anderem voraus, dass „jede subjektive Einstellung, innerhalb der diegetischen Realität eindeutig einem in einer objektiven Einstellung präsentierten Subjekt zugeordnet werden“ kann. „Normalerweise sieht man also zunächst den Protagonisten (in einer objektiven Einstellung) und erst danach (in einer komplementären Einstellung) das, was dieser Protagonist aus seiner subjektiven Sicht (Point-of-View-Shot) sieht“ . 9

Da der Protagonist jedoch auch im zweiten Bild­ausschnitt des eben beschriebenen Beispiels als Gegenstand des vermeintlich subjektiven Blickes konstatiert werden kann, kann er unmöglich gleichermaßen Träger dieses Blickes sein. Die Einstellung oszilliert folglich zwischen Subjektive und Objektive, wodurch es der Zuschauer deme­ntsprechend „mit der Konstruktion eines Ortes unmöglicher Subjekt­ivität“ 10 zu tun bekommt, die – wie Zizek treffend formuliert – „die Objektivität mit dem Ruch eines unaus­sprechlichen, monströsen Bösen kontaminiert“ 11. Der Rezipient glaubt die seiner Verantwortung obliegende Spielfigur von einer nicht auszumachenden, daher unbeherrsch­baren Gefahr beobachtet und fürchtet um deren Unversehrt­heit, beziehungsweise in Anbetracht der medialen Spezifika des Videospiels um seinen eigenen Spielerfolg. Demnach ist es die für das Action-Adventure untypische Nicht-Kontrollier­barkeit der Kamera – laut Gorenstein „eigentlich ein Hilfsmittel des Spielers“ 12 die einen körperlosen und daher unmöglich zu kontrollier­enden Blick provoziert und sie in letzter Konsequenz zum Gegenspieler des Rezipienten werden lässt.

Die Filmadaption zeigt während des Prologs zunächst in einer objektiven Einstellung eine Überwachungs­kamera im Forschungs­zentrum des Industrie­konzerns ‚Umbrella‘ und im darauf folgenden POV-Shot das Sichtfeld. 13 Auch wenn die Paradigmen des ‚Continuity Editing‘ dementsprechend Folge geleistet wurde, ist eine Kamera als Sach­gegenstand – entgegen dem konventionellen human(oid)en Protagonisten – jedoch für gewöhnlich nicht in der Lage, selbstständig aktiv in die erzählte Welt einzugreifen und somit, entsprechend der vorherigen Definition, nicht wirklich ein Subjekt. In derselben Sequenz jedoch suggeriert die POV der Überwachungs­kamera, dass sie in der Lage ist, den ausgebrochenen Virus als solchen zu erkennen sowie den Alarm zu aktivieren und darüber hinaus über die Fähigkeit verfügt, die Angestellten des Labors mit Giftgas oder mittels der Steuerung eines Fahrstuhls zu töten. 14 Indem die Figuren den verzweifelten Versuch unternehmen, sie argumentativ von ihrer Fehlfunktion zu überzeugen, scheinen auch sie die Kamera als vernunftbegabte Instanz zu betrachten. 15 Folglich verkörpert das Aufnahme­gerät hier zwar nicht direkt ein handelndes Subjekt, fungiert aber zumindest – im Gegensatz zum ins Leere laufenden Blick der Spiel­vorlage – als medialer Platzhalter, der auf eine noch unbekannte, im Hintergrund agierende Intelligenz, also auf ein tatsächliches Subjekt verweist.

Anhand der bisherigen Beobachtungen kann dieser gespenstische Geist als eine all- und übermächtige Bedrohung für die Protagonisten beschrieben werden. Neben seiner durch den Anschluss an das Überwachungssystem der Forschungseinrichtung bedingten Fähigkeit, alles zu sehen (Chion kategorisiert diese Fähigkeit im Rahmen des acousmêtre als ‚seeing all‘) und der damit verbundenen Allwissenheit (‚omniscience‘), verfügt er über die Möglichkeit sich zeitgleich an jedem Ort (‚ubiquity‘) aufzuhalten und dort nahezu jegliche Aktion auszuführen (‚omnipotence‘). 16 Die Überwachungskamera in Andersons Film lässt sich somit als non-akustische, das heißt visuelle Variante des von Michel Chion erdachten Konzeptes des ‚acousmêtre‘ lesen, welche lediglich die jenseits konventioneller körperlicher Grenzen agierende Stimme durch einen gleichermaßen talentierten Blick ersetzt. Dieser Mangel an physischer Manifestation ist es auch, der jegliche Unterwerfungsversuche dieses Phantoms durch die Protagonisten unmöglich macht. Konsequenterweise kann, Chions Argumentation folgend, die durch den Blick vermittelte künstliche Intelligenz auch erst ihrer Fähigkeiten beraubt, sprich abgeschaltet und unterworfen werden, wenn eine ‚de-acousmatization‘, in diesem Fall also eine Kopplung des Blickes an einen Körper 17 – hier der eines kleinen Mädchens 18 – stattgefunden hat.

Mithilfe gleichartiger visueller Inszenierungstechniken evozieren also sowohl die Spielvorlage als auch seine Filmumsetzung gleichermaßen eine unheimliche, nicht greifbare und unkontrollierbare Gefahr für die Figuren. Das Motiv des Kontrollverlustes findet somit durch das Zusammenspiel von erzähltem Inhalt sowie inszenatorischer Verfahren seinen Weg in die Adaption.

"There’s something killing down there!" – Unheimliche Unsichtbarkeit

In Resident Evil ist die Kadrierung unbeweglich, der Bildausschnitt bleibt statisch und Kamerabewegungen, welche die „Offscreen-Raum in Onscreen-Raum und [auch] umgekehrt“ 19  verwandeln, bleiben somit – zumindest während der Spielsequenzen – vollständig aus. Das Verhältnis zwischen On und Off ist demnach, entgegen der Kino- und Videospielkonvention, nicht dynamisch, sondern statisch. Bedingt durch die Begrenzung des einsehbaren ‚Spielfeldes‘ kann also immer nur ein Bruchteil des tatsächlich erzählten Raumes erschlossen werden. Hierdurch tut sich eine Leerstelle auf, die das Spiel zu dramaturgischen Zwecken zu nutzen weiß. Konkret wird der Spieler permanent gezwungen, die Avatarfigur über die ihm vertrauten Grenzen des Bildausschnittes hinaus zu bewegen, während aus dem Off dringende Geräusche – in diesem Fall beispielsweise das Schlurfen und Stöhnen der Zombies – von der dort verorteten Gefahr künden. Folglich wird der Rezipient genötigt, entweder seine Spielfigur einem möglicherweise existenzgefährdenden Unheil auszusetzen oder ‚blind‘ ins Off zu schießen und somit zu einem späteren Zeitpunkt eventuell überlebensnotwendige Munition zu verschwenden.

Die Verlagerung der wahrnehmbaren Gefahr von der Bild- in die Tonspur bedeutet also, sie der Kontrolle des Spielers zu entziehen, da unsichtbare Dinge naheliegender Weise schwerlich bekämpft werden können. 20 Der hierdurch evozierte Spannungseffekt gleicht der Hitchockschen ‚suspense‘, also der „Antizipation eines […] auftretenden Ereignisses, z.B. einer drohenden Gefahr“ 21 , durch den Rezipienten. Catherine Shelton bringt nun explizit Freuds Konzeption des Unheimlichen mit der emotionalen Wirkung des Horrorgenres in Bezug. Ihr zufolge tritt das „Gefühl von Unheimlichkeit […] als Effekt einer Enthüllung auf, eines Erscheinens von etwas zuvor oder eigentlich Nichtsichtbaren oder Verborgenen“ 22, eine These, welche sich problemlos anhand des hier gewählten Untersuchungsgegenstandes belegen lässt: Erreicht einer der Antagonisten das Bild, so ist es für den Rezipienten gemeinhin zu spät, noch angemessen zu reagieren und die seiner Verantwortung obliegende Spielfigur nimmt Schaden.

In Paul W.S. Andersons Filmumsetzung aktivieren die Mitglieder einer Sondereinheit Umbrellas versehentlich einen Abwehr­mechanismus, welcher mit messerscharfem Laserlicht zu töten versucht. Hierbei werden unter anderem die Finger einer Hand, ein Torso und ein Hals durchtrennt, was mitunter einen Blick auf das Körperinnere der Figuren ermöglicht. 23 Diese nur wenige Sekunden andauernden Einstellungen stechen hinsichtlich ihrer einzigartigen Drastik heraus und führen, um auch an dieser Stelle mit der Rhetorik Sheltons zu argumentieren, zu einer „Überfülle des Filmbildes (und Tons), die das narrative Einheitsstreben übersteigt“ 24 und können dementsprechend in diesem Zusammenhang als „nichtökonomisch und ‚ungerechtfertigt‘, also als Exzess aufgefasst werden“ 25. Dieser „zielt mit der dezidierten Ausstellung kinematographischer Verfahren und Effekte auf die (auch sensorische) Überwältigung des Zuschauers ab“ 26. Das Genre des Horrorfilms sowie das Subgenre des Splatterfilms charakterisiert Michaela Krützen als eine „Kette von immer brutaler werdenden Morden“ 27. Fans dieser Filme goutieren für gewöhnlich „nicht die Erzählung, sondern die Mordmethode, die Ausgefallenheit der Mordwerkzeuge und das Make-Up“ 28.

Der Exzess erlaubt eine kategoriale Zuordnung der Resident Evil-Verfilmung zum auf Tom Gunning zurückzuführenden Begriff des ‚Kinos der Attraktionen‘, welches Krützen als ein „exhibitionistisches Kino“ 29 beschreibt. Zur Erklärung des Reizes des kinematographischen Exzessmomentes stellt Marcus Stiglegger zwei rezeptionstheoretische Modelle vor. Eines der beiden, die „Verführung zur Souveränität“ 30, beschreibt die Lust des Zuschauers am Erleben der „Souveränität (also Verfügungsgewalt) über den fremden bzw. anderen Körper“ 31. Entsprechend der These, das Empfinden von Horror sei zwangsweise mit einem wie auch immer gearteten Kontroll­verlust verknüpft, kann hier somit keine Rede vom für das Horrorgenre konventionellen Etablieren eines Angstgefühls sein. Stattdessen funktioniert der Gewaltexzess als eine Art sadistisches Spiel und schafft eine damit verbundene lustvolle Loslösung des Rezipienten von seiner Alltagsmoral. 32

Während die Videospiel­vorlage also versucht, den Rezipienten durch Nicht-Zeigen der Bedrohung die Kontrolle über die interaktive Spielumgebung zu entziehen, geht die filmische Interpretation den entgegen gerichteten Weg der expliziten Zurschaustellung und dem damit verbundenen Suggerieren einer Herrschaft über einen anderen Körper.

Medienreflexion – Das Paradigma des Medienwechsels

Wird davon ausgegangen, dass ein jüngeres Medium seinen Vorgängern technisch überlegen ist, beziehungsweise ein dort nicht vorhandenes Element enthält, so muss die Rückführung eines Stoffes in ein älteres Medium grundsätzlich als weitestgehend überflüssig erscheinen. Denn was kann beispiels­weise das Medium Film einem hochgradig von filmischen Ästhetiken und Sujets geprägten Videospiel schon Neues hinzufügen? Die vorhergegangene Analyse suggeriert, dass eine mögliche Antwort ‚Medien­reflektion‘ lauten könnte.

Exemplifizieren lässt sich diese Hypothese unter anderem anhand der als Repräsen­tant der künstlichen Intelligenz operierenden Kamera der Adaption. Diese vereint die Referenz auf die medien­konstitutive Instanz des Filmes mit dem Verweis auf die jenseits jeglicher virtuellen Kamera zu lokalisierende, jedoch manipulierend eingreifende Instanz des Spielers. Paul W.S. Anderson gelingt somit eine inszena­torische Verschmelzung von Videospiel- und Filmmetapher. Einen analogen Schluss lässt auch Stigleggers Lesart des kinemato­graphischen Gewalt­exzesses im zweiten Untersuchungs­beispiel zu. Auch wenn die Inszenierung des Films anstatt Sichtbarkeit zu unterbinden auf visuellen Exzess setzt, ermöglicht dessen theoretische Lesart, die hiervon evozierte Illusion einer ‚Verfügungs­gewalt‘ über den gequälten und geschundenen Körper als Allegorie auf den virtuelle Körper unterwerfenden Rezipienten eines Computer­spiels lesen. Die inter­mediale Referenz funktioniert in dieser Hinsicht somit nicht nur als simpler ‚Fanservice‘, im Sinne eines liebe­vollen Verweis an das Vorbild, sondern kann als konstitutiv für einen (geglückten) Adaptions­vorgang verstanden werden, die eine wechselseitige Reflektion der Medien Film und Computerspiel ermöglicht.

Verzeichnis der verwendeten Medien:

Filme:

Anderson, Paul W.S.: Resident Evil. Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, USA: Bernd Eichinger, 2002.

Textmedien:

Bolter, Jay David; Grusin, Richard: Remediation. Understanding New Media. Cambridge: MIT Press 1999.
Chion, Michel: Audio-Vision. Sound on Screen. New York: Columbia University Press 1994.
Gorenstein, Dan: Angst als Sollbruchstelle. Kontrolle und Kontrollverlust im Survival Horror. In: Retro. Jg. 2011, Heft 21, S.62-64.
Krützen, Michaela: Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt. Frankfurt am Main: Fischer 2004.
Liptay, Fabienne: Leerstellen im Film. Zum Wechselspiel von Bild und Einbildung. In: Koebner, Thomas; Meder, Thomas; Liptay, Fabienne (Hg.): Bildtheorie und Film. München: edition text + kritik 2006. S. 108-143.
Poppe, Sandra: Visualität in Literatur und Film. Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007.
Shelton, Catherine: Unheimliche Inskriptionen. Eine Studie zu Körperbildern im postklassischen Horrorfilm. Bielefeld: Transcript 2008.
Stiglegger, Marcus: Terrorkino. Angst/Lust und Körperhorror. Berlin: Bertz + Fischer 2010.
Russel, Jamie: Book of the Dead. The Complete History of Zombie Cinema. Surrey: FAD Press 2005.
Weibel, Adrian: Spannung bei Hitchcock. Zur Funktionsweise der auktorialen Suspense. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008.

  1. Vgl. Bolter, Jay David/Grusin, Richard: Remediation. Understanding New Media. Cambridge: MIT Press 1999. S. 88.[]
  2. ‚Remediation‘ im Computerspiel verhandeln Grusin und Bolter aufs Ausführlichste an den Beispielen Myst und The Last Express (Vgl. Ebda. S. 88-103) []
  3. Shinji Mikami, dem Urschöpfer des Resident Evil-Franchises zufolge, haben sowohl Lucio Fulci’s Zombie-Reihe als auch George A. Romeros Night of the Living Dead  als Vorbild für die Videospiel­reihe fungiert. Ziel des Spiels war es, dem Spieler das Gefühl zu geben, den Hauptcharakter in einem Horrorfilm zu verkörpern (Vgl. Jamie Russel: Book of the Dead. The Complete History of Zombie Cinema. Surrey: FAD Press 2005. S. 171.) []
  4. Dan Gorenstein: Angst als Sollbruchstelle. Kontrolle und Kontrollverlust im Survival Horror. In: Retro 21 (2011). S.64.[]
  5. Ebda. S.64.[]
  6. Ebda.[]
  7. Der Einfachheit halber wird das Subjekt im Folgenden rudimentär durch Sein, Wahrnehmen und Handeln in der fiktionalen Welt konstituiert.[]
  8. Siehe hierzu auch: Sandra Poppe: Visualität in Literatur und Film. Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. S. 84-87.[]
  9. Ebda.[]
  10. Ebda. S. 17.[]
  11. Ebda.[]
  12. Gorenstein. 2011. S.64.[]
  13. Resident Evil. (Paul W.S. Anderson; Deutschland/Frankreich/Vereinigtes Königreich/USA; 2002). 00:03:30 – 00:03:40.[]
  14. Ebda. 00:03:33 – 00:08:17.[]
  15. Ebda. 00:04:56 – 00:05:05.[]
  16. Vgl. Michel Chion: Audio-Vision. Sound on Screen. New York: Columbia University Press 1994. S. 129-130.[]
  17. Vgl. Ebda. S. 131.[]
  18. Resident Evil. 00:36:00 – 00:36:39.[]
  19. Fabienne Liptay: Leerstellen im Film. Zum Wechselspiel von Bild und Einbildung. In: Thomas Koebner/Thomas Meder/Fabienne Liptay: Bildtheorie und Film. München: edition text + kritik 2006. S. 113.[]
  20. Vgl. Gorenstein. 2011. S. 62.[]
  21. Adrian Weibel: Spannung bei Hitchcock. Zur Funktionsweise der auktorialen Suspense. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008. S. 24.[]
  22. Catherine Shelton: Unheimliche Inskriptionen. Eine Studie zu Körperbildern im postklassischen Horrorfilm. Bielefeld: Transcript 2008. S. 39.[]
  23. Resident Evil. 00:32:37 – 00:33:09 min.[]
  24. Shelton. 2008. S. 162.[]
  25. Ebda. S. 163.[]
  26. Ebda. S. 160.[]
  27. Michaela Krützen: Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt. Frankfurt am Main: Fischer 2004. S. 296.[]
  28. Ebda. S. 297.[]
  29. Ebda. S. 279.[]
  30. Marcus Stiglegger: Terrorkino. Angst/Lust und Körperhorror. Berlin: Bertz + Fischer 2010. S. 24.[]
  31. Ebda.[]
  32. Vgl. Ebda. S. 26.[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Schwaiger, Tobias Martin: "„Killing in the Game of…“ - Zur filmischen Adaption von 'Resident Evil'". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 21.03.2014, https://paidia.de/killing-in-the-game-of-zur-filmischen-adaption-von-resident-evil/. [25.04.2024 - 13:10]

Autor*innen:

Tobias Martin Schwaiger