Oliver Steffen: Gamen mit Gott. Wo sich Computer­spiele und Religion begegnen (Rezension)

30. Juni 2017

Rahmendaten:

Oliver Steffen: Gamen mit Gott. Wo sich Computerspiele und Religion begegnen
Zürich: Theologischer Verlag Zürich, 2017.
164 Seiten.
ISBN: 978-3-290-22038-9
Preis: 26,90€

Religion und Computerspiele: die Forschungs­situation

Das Computerspiel blieb aus religionswissenschaftlicher Perspektive vergleichsweise lange ‚okkultes‘ 1 Terrain, das wenn überhaupt in kritischen Außenbeobachtungen abgehandelt wurde 2. Eine detaillierte und medien­kompetente Auseinandersetzung mit den religiösen Interpretations­angeboten einzelner Titel, Genres, oder des Mediums als Ganzen fand aus unterschiedlichen Gründen kaum statt. Dies änderte sich spätestens zu Beginn dieses Jahrzehnts – aus dem ‚Tröpfeln‘ vereinzelter Aufsätze interessierter Religions-, Kultur-, Literatur-, und Medie­nwissenschaftler wird ein konstanter Strom von auch institutionell stärker angebundener Publikationen und Tagungen:
Artikel zum Verhältnis von Computerspielen und Religion erscheinen nun vermehrt in etablierten religions­wissenschaftlichen Zeitschriften 3 oder formen ganze Spezialausgaben 4. Gleichzeitig widmen religion­s­wissen­schaftlich orientierte Sammelbände Computerspielen ganze Sektionen 5 oder beschäftigen sich sogar in ihrer Ganzheit damit 6. Doch die Welle neuer Publikationen ist nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ be­ein­druckend: Computerspiele werden auf der Ebene des Inhalts und der simulativen Spielmechanik auf religiöse Strukturen und Diskurse geprüft, beispielsweise vom ‚god mode‘ über die Performanz religiöser Handlungen bis hin zum Einsatz moralischer Wertesysteme. Sie werden in ihrem Status als Spiel selbst auf ihr transzendentales Potential geprüft und auch auf ihre Außen­wirkung in öffentlichen Diskussionen untersucht. Daneben werden Spieler selbst in empirischen Untersuchungen in Bezug auf ihre religiösen Erfahrungen in und außerhalb des Spiels befragt. Es ist also nicht ver­wun­derlich, wenn sich in diesem produktiven Experimentierfeld erst langsam ein methodischer Kanon der religionswissenschaftlich angeleiteten Computer­spielforschung herauskristallisiert.
Die Arbeiten von Dr. Oliver Steffen können genau an diesem Knotenpunkt lokalisiert werden. Oliver Steffen ist freischaffender Religionswissenschaftler und beschäftigt sich seit dem Erscheinen seiner Lizentiats­arbeit im Jahr 2008 mit dem Verhältnis von Computerspielen und Religion. Sein Dissertations- und Forschungsprojekt „Between ‚God Mode‘ and ‚God Mood‘. Religion in Computerspielen und die Bedeutung der Religion für Gamers“ (2010-2014) liefert nicht nur den Grundstein für den vorliegenden Band Gamen mit Gott, sondern auch für zwei weitere wissenschaftliche Publikationen (beide 2017 publiziert), die gemeinsam das methodologische und inhaltliche Inventar für einen Games-Religions­wissenschafts-Einführungskurs bieten können.

Das Buch selbst

Gamen mit Gott wagt in dieser Text-Dreiheit den Schritt nach Außen: Es richtet sich an interessierte Leser außerhalb der Computerspiel­forschung, die sich angesichts der enormen Popularität des Mediums unter Spielenden jedes Alters, aber v.a. Heranwachsenden, folgende Fragen stellen: „Gibt es religiöse Spiele? Wie werden religiöse Themen in Spielen dargestellt? Ist das Gamen von religiösen Spielen eine religiöse Handlung?“ (Rückentext). Damit spricht es direkt Leser an, die in religiös geprägten Verantwortungs­positionen stehen und nach Orientierung in Bezug auf das digitale Medium suchen: Eltern, Erzieher, Jugendarbeiter, Religionspädagogen, Diakone, Seelsorger u.a.
Konsequenterweise erscheint Gamen mit Gott im Theologischen Verlag Zürich neben Büchern zum Thema Diakonie oder Jugendarbeit im Themenbereich „Praktische Theologie“. Diese Platzierung bekräftigt ebenso wie die Förderung des Titels durch alle größeren Kirchenorganisationen der deutschsprachigen Schweiz 7 die Zielsetzung, dass das Werk religiös engagierten Laien einen hilfreichen Einblick in die Funktionsweise des Computerspiels, dessen religiöse Nutzung(spotentiale) und seinen Einfluss auf Spielende geben kann. An der Erfüllung dieses (rekonstruierten) Ziels orientiert sich auch die Bewertung dieser Rezension.

Inhalt

Das 164-Seiten umfassende Buch besteht aus 6 Kapiteln, einem Epilog sowie einem Literatur- und Informationsverzeichnis mit Quellen zu Alters­kenn­zeichnung, der pädagogischen Beurteilung von Games und Medienkompetenz.

  1. Games – das Massenphänomen
  2. Religion in Games
  3. Religiöse Games
  4. Die Bedeutung von Religion in Games
  5. Religiös beim Computerspielen?
  6. Religiöse Antworten auf Games

Epilog: Gamen mit Gott

Vorwort und Einführung

Im Vorwort rekapituliert Steffen die Ausgangs­situation: In den letzten Jahrzehnten ist das Computerspiel ein Massenmedium geworden, das gelobt, kritisiert – aber auch vor allem von Generationen heranwachsender Spieler konsumiert wird. (Religiöse) Verantwortungs­träger versuchen, dieses Phänomen zu verstehen und praktikable Umgangsformen im Umgang mit Spielen zu finden – und der Autor möchte ihnen dabei behilflich sein:
„Dieses Buch handelt von Gott und Games, vom Glauben und Spielen, und davon, wie Menschen dieses Verhältnis gestalten. Es handelt von Games mit religiösen Inhalten und von religiösen Games, von religiösen Gamern und von spielenden Gläubigen, vom Ausschluss der Games aus dem religiösen Leben und von ihrem Einsatz für das religiöse Leben.“ (9)

Kapitel 1: Games – das Massenphänomen

Im ersten Abschnitt „Was sind Games“ liefert Steffen eine kurze Einführung in die Struktur des Medienverbundes Computerspiel, die erfolgreich das Zusammenspiel von vielgestaltigem Erzählen und regelgebundenem Simulations­system für Laien erklärt. Darauf folgt eine notwendigerweise geraffte, aber ausreichend vielfältige Zusammenfassung der Entwicklungs­geschichte des Computerspiels, seiner Formen und Märkte. Im folgenden Abschnitt „Computerspielkultur“ zeigt Steffen die soziale Komponente des Spielens auf: Praktiken, die beim Spielen und darum herum geschehen, über die sich Spielende austauschen oder sogar Identitäten bilden; ebenso auch die gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Identitäts­­verhandlung, ob in der Form moral­­politischer Debatten oder über die Bildung neuer (prüfender, berichtender, etc.) Institutionen.
Die öffentliche Kritik und Regulierung von Computerspielen erhält dabei besondere Aufmerksamkeit – und auch aus gutem Grund, denn selbst nichtspielende Leser werden sich vermutlich noch gut an die heftig geführten Debatten um das Sucht- und gewaltanregende Potential des Computerspiels erinnern. Steffen erklärt sachlich die Entwicklung beider Debatten, die Argumente der einzelnen Seiten sowie die inzwischen durch Forschungsprojekte neu gewonnen Ergebnisse – und wie diese einige der extremsten Anfeindungen gegen das Medium und EntwicklerInnen relativeren konnten.
Der in den letzten Jahren durch verschiedene Seiten so oder so ähnlich beschriebene Umstand, dass Computerspiele ‚in der Gesellschaft angekommen seien‘ (was die Frage aufwirft, wo sie denn vorher gewesen sein sollten), wird dadurch erklärt, dass sie nun stärker institutionell gefördert werden: Staaten und Nichtstaatliche Stiftungen vergeben inzwischen kulturelle Preise, fördern Studiengänge zur Spielentwicklung und die Veröffentlichung von Computerspielen.
Mit zunehmender Institutionalisierung verstärkt sich jedoch das Potential zur Instrumentalisierung des Mediums. Hier zeigt Steffen auf, wie Staaten und nichtstaatliche Organisationen wie Firmen, Stiftungen und politische Parteien versuchen, die öffentliche Meinung durch Werbespiele, Serious Games, und Propaganda-Spiele zu beeinflussen.

Kapitel 2: Religion in Games

Im Abschnitt „Spiele und Religion in der Geschichte“ gibt Steffen einen Überblick, über die historische Verbindung von Religion und Spiel. Dass das Christentum im Gegensatz zu den meisten Kulturen, welche Religion und Spiele verschiedenster Art durchaus produktiv verbanden, historisch eine eher ambivalente Beziehung zu Spielen besitzt, erklärt, warum christliche Kirchen noch immer schwer Zugang zum Medium finden. Steffen be­leuch­tet hierbei die Perspektiven der Entwickeler­Innen, der Spieler­Innen und der Spiele selbst.

Die Sicht der Entwickler

Steffen beobachtet, dass sich nur ein extrem geringer Anteil von Computer­spielen hauptsächlich mit Religion beschäftigt 8. Er untersucht die Gründe für diese überraschend niedrige Rate und kann glaubwürdig erklären, warum in der frühen Spielentwicklung „Religion ignoriert oder in alternativer Form ins Spiel gebracht“ wurde. 9
Dies ist auch heute noch so – nicht zuletzt, weil viele Entwickler befürchten, dass der Einbau konkreter religiöser Elemente öffentliche Verärgerung, Proteste und Verkaufseinbrüche nach sich ziehen könnte 10, wie dies beispielsweise aktuell für Far Cry 5 der Fall war.
Im Folgenden bringt Steffen Beispiele für den vielgestaltigen Einsatz von fiktiven sowie realweltlichen Religionen im Computerspiel. Er vermerkt, dass vor allem Spiele mit Fantasy-Settings häufig existierende religions­semio­tische Elementen verfremden, ergänzen, überhöhen oder verzerren, um so atmosphärische und stimmungsvolle Spielwelten zu gestalten. Dieser Eindruck wird durch ein von Steffen selbst mit den Entwicklern des Fantasy-Rollenspiels Risen (2009) durchgeführtes Interview unterfüttert:
„Das Interview mit Matthias Filler zeigt, wie Religion insbesondere in Fantasy-Rollenspielen in der Form von magischen, mystischen oder mythischen Bezügen zur Lebendigkeit und zum antiken Charakter einer Spielwelt beitragen soll. Dabei entsteht eine bunte und oberflächlich gehaltene Mischung aus religiösen Versatzstücken, bei der es nicht auf die geschichtliche Authentizität ankommt, sondern auf den Effekt, den sie erzeugt.“ 11
Dass die eklektische Oberflächlichkeit den Einsatz von fiktiven Religionen in Computerspielen in seiner Ganzheit erklärt, ist jedoch eine problematische Aussage: Sie unterschlägt, dass fiktive Fantasy-Religionen durchaus eigenständige komplexe Strukturen mit all den Ambivalenzen, Wider­sprüchen und esoterischen Dimensionen enthalten können, die reale Entsprechungen besitzen. 12.
Im folgenden Abschnitt untersucht Steffen, wie Spieler selbst religiöse Inhalte durch spiel­interne Entscheidungen und Spiel­modifikationen in das Spielerlebnis einbringen.
Im Abschnitt „Religion in Games – Charakteristiken und Beispiele“ erstellt Steffen einen Kategorien-Katalog, der Lesern dabei helfen soll, die Gewichtung von Religion in einzelnen Computerspielen abzuschätzen. Im Folgenden untersucht er verschiedene Spiel-Typen auf diese Charakteristika. Dabei stellt er fest, dass sogenannte ‚Mainstream-Games‘, also typischer­weise Titel etablierter Entwicklungsstudios mit großen Budgets, stark vor der Einbindung von ‚problematischen‘ und damit potentiell umsatz­gefährden­den Inhalten wie Religion zurückschrecken. 13. Er illustriert dies in Kurzanalysen der Titel Risen (2009) und Anno 1404 (2009).
Independent-­Unterhaltungsspiele, die von kleinen Entwicklungsstudios produziert werden, erlauben sich dabei deutlich mehr Freiraum beim Einbau religiöser Elemente – und zwar sowohl in Richtung Affirmation wie auch verdammender Kritik. Casual- und Social-Spiele erscheinen ebenfalls mit faszinierenden Beispielen – eine Überraschung, da diese Genres selten eine ausgeprägte Story enthalten. Serious-Games tauchen in der Form von Lern-, Kunst- und Propaganda­­spielen logischerweise auch in der Liste auf.

Religiöse Games

Steffen versucht sich nun an einem schwierigen Vorhaben: der Definition von ‚Religiösen Games‘:

„‚Religiöse Computerspiele‘ sind erstens Spiele mit Inhalten, die ausdrücklich auf gelebte Religionen – sowohl in traditionellen wie auch neuen und populären Formen – Bezug nehmen. Zweitens stehen diese gelebten Religionen im Zentrum der Handlung. Games mit erfundenen Religionen oder mit religiösen Inhalten als Nebensache sind demnach keine ‚religiösen Computerspiele‘. Drittens spielt es für religiöse Games keine Rolle, ob die Inhalte direkt, indirekt oder gar nicht mit der interaktiven Handlung verbunden sind. Hier ist alles denkbar: Manche Games setzen simple Mechaniken ein, um die religiösen Inhalte anzuzeigen. […] Andere wiederum stellen die interaktiven Eingaben als religiöse Verrichtungen dar. […].  Viertens: Die Entwickler und/oder Publisher von religiösen Computerspielen versuchen, die religiösen Inhalte im Spiel als positiv, beachtenswert oder bedeutungsvoll auch außerhalb des Spiels darzustellen. […] Religiöse Games werben also ausdrücklich für die gezeigte real­weltliche Religion, wobei diese Werbung unterschiedliche Formen annehmen kann.“ 14

Diese Definition mag intern kohärent sein und es Steffen erlauben, über eine überschaubare Menge von für ihn interessanten Spielen zu sprechen. Gleichzeitig muss sie sich jedoch auch gegenüber mehreren kritischen Fragen erklären:
1.Wie erklärt sich, dass ein Spiel, in dessen Zentrum komplexe religiöse Fragen anhand von fiktiven Religionen verarbeitet werden, kein ‚religiöses Spiel‘ darstellt?
2. Aus welchen Gründen fallen hier auch Computerspiele heraus, die eine gelebte Religion nicht „als positiv“ bewerben 15, sondern als ambivalentes oder negatives Element charakterisieren bzw. simulieren?
Unter Steffens Definition fallen also hauptsächlich Lern- und Missions­spiele der großen Religionen – allen voran US-amerikanische Titel aus dem Umfeld des evangelikalen Christentums, aber auch die vereinzelt auftretenden Titel, die sich dem Islam, Judentum oder anderen (alternativen) Religionen verschreiben. Im Folgenden beschreibt Steffen die einzelnen Spiele, ihr kulturelles Umfeld sowie die Ziele der jeweiligen Entwickler.
Unter dem Punkt „Religiöse Computerspiele – ein Widerspruch in sich?“ räumt er auch ein, dass ‚religiöse Computerspiele‘ nach dieser Definition immer Nischenprodukte darstellten und es wohl auch bleiben werden. Sie sprechen auch weder Gläubige noch Gamer wirklich an - warum? 16. Steffen lokalisiert hier gekonnt zahlreiche Gründe für die beiderseitige Ablehnung und bietet auch Vorschläge, wie diese möglicherweise behoben werden könnten.

Kapitel 4. Die Bedeutung von Religion in Games

In Kapitel 4 widmet sich Steffen der detaillierten Analyse von Religion in den beiden Titeln Anno 1404 und Risen. Er untersucht intradiegetische religiöse NPCs, Gebäuden und Gegenstände und wie diese durch Story und Spiel­mechanik mit Bedeutung versehen werden. Als Schluss daraus zieht er die zentrale Feststellung,

„dass religiöse Inhalt in Computerspielen nicht einfach das sind, was sie durch ihre Bilder oder Begrifflichkeiten zu sein vorgeben. Zwar verweisen sie auf reale Religionen, zugleich aber erhalten sie eine neue Bedeutung. Eine Kirche in einem Game ist nicht einfach eine Kirche, wie wir sie aus dem Alltag kennen. […] Denn sie ist in eine Erzählung und in eine Regel­struktur eingebettet, die unterschiedliche Aussagen darüber machen, was diese Kirche in diesem Fall darstellt. Erst aus diesem Zusammenwirken der unterschiedlichen Ebenen der Ästhetik, der Thematik und der Regeln bzw. des Spielsystems ergibt sich die neue Bedeutung von religiösen Inhalten.“ 17

Dieser Gedanke wird zur Basis einer umfangreicheren Beobachtung der häufigsten Darstellungs- und Umgangs­­konventionen mit Religion im Computerspiel. Als Resümee zieht er dabei:
„Insgesamt erscheint Religion dadurch als rationales und berechenbares Verfahren zur Lösung von Problemen. Transzendentale Realitäten, schwer begreifbare Bewusstseinszustände oder kryptische Spekulationen werden ausgeblendet. Damit sind auch religiös relevante Handlungen wie Glauben und Vertrauen überflüssig.“ 18.
Im Abschnitt „Religiös beim Computerspielen?“ setzt sich Steffen mit Aussagen von Spielern und Forschern auseinander, die dem Spielvollzug im ‚Flow‘-Erleben quasi-religiösen Dimensionen attestierten. Können Computerspiele selbst religiöse Praktik sein?
Er erkundet die Frage in Form einer kultur­wissenschaftlich-philosophischen Diskussion über die transzendenten Elemente des Spielens, mythische Strukturen in Computerspiel­erzählungen und das Potential von Spielen, tiefgreifende moralische Erfahrungsmomente zu erzeugen. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist, dass Computerspiele durchaus Erfahrungs­dimensionen des Religiösen in sich integrieren können – gleichzeitig jedoch auch auf Grenzen stoßen, nämlich besonders im Inneren des Subjekts, also da „wo nach konkreteren religiösen Leistungen und Bedeutungen für die einzelnen Spielerinnen und Spieler gefragt wird.“ 19

„Gamer – wie habt ihr’s mit der Religion?“

Steffen begibt sich nun auf die Suche nach genau diesen schwer zu lokalisierenden subjektiven Bedeutungen. Da dazu bislang kaum empirische Forschung existiert, nutzt Steffen hier die Ergebnisse einer von ihm selbst unter Spielern der Titel Anno 1404 und Risen durchgeführten Umfrage. Er gleicht die Befragten mit den bislang ermittelten statistischen Daten zur Demographie von Spielenden ab und ermittelt die religiöse Identifikation der Befragten. Die Ergebnisse dieser – zwar nicht repräsentativen, aber aufschlussreichen – Untersuchung deuten darauf hin, „dass Gamer traditionellen institutionalisierten Religionen eher kritisch gegenüberstehen, dafür aber für die modernen, alternativ-religiösen und auch säkularen Möglichkeiten der Sinnfindung und Lebensbewältigung aufgeschlossen sind – also auch für implizite Religion.“ (S. 119)

Das Spielen als religiöse Handlung?

Wie gehen gläubige Spieler mit den religiösen Elementen in Computer­spielen um? Steffen präsentiert faszinierende Einzelbeispiele zu Situationen, in denen Spielende ein Spiel aus religiös begründeten Argumenten abbrechen oder zumindest mit großem Unwohlsein weiterspielen. Gleichzeitig zeigt er den Zusammenschluss gläubiger Spielender in christlichen Spiel-Clans, Gilden und Communities, wo positive christliche Werte im gemeinsamen Spielen umgesetzt werden sollen. Ihr Extrem findet diese Bewegung in digitalen Missions­gruppen, die in der Weite virtueller MMO-RPG-Welten Spieler-Seelen retten wollen. Selbst wenn viele Titel Religion nicht zentral als Inhalt verhandeln, kommt sie doch durch die bestehenden religiösen Überzeugungen der Spielenden ins Spiel. 20

Religiöse Kommunikation beim Gamen

Mit dieser Basis widmet sich Steffen noch einmal den Fallbeispielen Anno 1404 und Risen und ihren Spielern. Wie spricht die Religions­darstellung der einzelnen Titel die Spielenden mit unterschiedlichen religiösen Aus­rich­tungen an? Hier macht Steffen die Beobachtung, dass die komplexe Kommunikation zwischen religiösen Spielinhalten und Spielenden auf mehreren Ebenen funktioniert – und dass Spielende dabei durchaus medienkompetent und mit Eigeninitiative handeln:

„Gamer können damit in unterschiedliche Beziehungen zu Religion in Games treten: Als Individuen verstehen sie die religiösen Inhalte vor dem Hintergrund ihrer Weltanschauungen. Als Spieler beurteilen sie sie als Elemente, die Atmosphäre schaffen oder den Weg zum Ziel ebnen. Und als Avatare behandeln sie sie gemäß der Rolle ihres Spielcharakters […]. Schließlich wählen die Gamer jene Computerspiele und Inhalte, die ihnen entsprechen und auf die sie sich einlassen können und wollen.“ 21

Im Abschnitt „Religiöse Antworten auf Games“ gibt Steffen noch einmal einen historischen Überblick über die Reaktions­muster religiöser Verbände auf Games, von Kritik über Regulierungsversuche bis hin zu Versuchen, Computerspiele produktiv für die religiöse Bildung einzusetzen. Er ergänzt diesen Abschnitt noch um Vorschläge, wie dies in Zukunft besser geschehen könnte.

Epilog: Gamen mit Gott

Unter dem Leitsatz ‚Gamen mit Gott‘ skizziert Steffen schließlich unter­schiedliche Wege für eine zeitgemäße und produktive Aus­einander­setzung mit den religiösen Elementen des Computer­spielens. Hier bieten sich zahlreiche vielversprechende Anregungen für Jugend­arbeiter, Lehrende und auch religiös engagierte Spielende.

Fazit

Es gelingt Oliver Steffen in Gamen mit Gott, eine zugängliche und dennoch fundierte Einführung in den Themenkomplex Religion und Computerspiele zu geben. Das zu Anfang gestellte Ziel kann es zudem zweifellos erfüllen: Es behandelt alle Fragen, die an Games, Religion, deren Zusammenspiel und gesellschaftlicher Aufarbeitung interessierte Leser stellen könnten und bietet gleichzeitig Anregungen, die Antworten in den eigenen Alltag einfließen zu lassen. Nach Meinung des Rezensenten würde die deutschsprachige Diskussionskultur um Computerspiele und Religion deutlich an Niveau gewinnen, wenn Gamen mit Gott eine große Leserschaft findet.

Verzeichnis der verwendeten Medien

Texte

Bornet Philippe; Burger; Maya (Hg.): Religions in Play. Games, Rituals, and Virtual Worlds. Zürich: Pano 2012.
Pirner, Mannfred: „Messias Spielen. Werbung mit dem Erlösermythos für ein Computerspiel.“ In Buschmann, Gerd.; Pirner, Mannfred (Hg.): Werbung, Religion, Bildung. Kultur­hermeneutische, theologische, medien­pädagogische und religions­pädagogische Perspektiven. Frankfurt a.M.: GEP 2003, S.141-147.
Lörke, Tim; Walter-Jochum, Robert (Hg.): Religion und Literatur im 20. und 21. Jahrhundert. Motive, Sprechweisen, Medien. Göttingen: V&R unipress 2015.
Steffen, Oliver: „Spiele mit Glauben. Zur Erfassung und Analyse von religiösen Inhalten in Computerspielen“. In: Zeitschrift für Religionswissenschaft 21, Nr. 2. S.200-227.
Heidbrink, Simone; Knoll, Tobias (Hg): Religion in Digital Games. In: Online. Heidelberg Journal of Religions on the Internet. Vol. 5, 2014. URL: < https://heiup.uni-heidelberg.de/journals/index.php/religions/issue/view/1449/showToc > [14.05.2017]

Bilder

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  1. im wörtl. Sinne verborgenes[]
  2. vgl. u.a. Pirner 2003[]
  3. z.B. Steffen 2013[]
  4. Heidbrink; Knoll (Hg.) 2014 URL: < https://heiup.uni-heidelberg.de/journals/index.php/religions/issue/view/1449/showToc > [14.05.2017] []
  5. Vgl. Lörke; Walter-Jochum 2015[]
  6. z.B. Bornet, Phillipe; Burger, Maya 2012[]
  7. vgl. S. 4[]
  8. aus den Spielen in der Datenbank von Giantbomb.com (46272 Spiele) sind nur 214, als 0,4% mit dem Schlagwort „Religion“ versehen; vgl. S. 36[]
  9. S. 37[]
  10. vgl. S. 39[]
  11. S. 45[]
  12. Beispiele für komplexe fiktive Religionen wären The Elder Scrolls 3: Morrowind, die Dark Souls-Serie, oder verschiedene, auf dem „Das Schwarze Auge“-Universum basierende Titel.[]
  13. vgl. S.55[]
  14. S. 68, 69[]
  15. S. 69[]
  16. vgl. 75[]
  17. S. 89[]
  18. S. 96[]
  19. S. 113[]
  20. vgl. S. 128[]
  21. S. 134[]

Schlagworte:

Spiele: 

So zitieren Sie diesen Artikel:

Baumgartner, Robert: "Oliver Steffen: Gamen mit Gott. Wo sich Computer­spiele und Religion begegnen (Rezension)". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 30.06.2017, https://paidia.de/oliver-steffen-gamen-mit-gott-wo-sich-computerspiele-und-religion-begegnen-rezension/. [29.03.2024 - 14:05]

Autor*innen:

Robert Baumgartner

Promotion zum Thema "Sinn(es)-Welten. Die Wirkungsästhetik von Computerspielwelten." (Veröffentlichung im Sommer 2021). Seine besonderen Forschungsinteressen umschließen Fantastik (in Theorie und Texten) und Computerspielforschung. Er ist Redakteur von Paidia. Zeitschrift für Computerspielforschung und Mitherausgeber des Sammelbandes I’ll remember this – Funktion, Inszenierung und Wandel von Entscheidung im Computerspiel. (Hülsbusch 2016).