Spielen Spielen – Doppelte produktive Rezeption in "Alan Wake"

26. Juni 2013

Zuerst die Kritik: Alan Wakes Erzählung ist auf viele Arten gewöhnlich und traditionell. Es ist ein weiterer Damsel-in-Distress-Plot, in dem einmal mehr ein männlicher Protagonist eine Frau retten muss und nebenbei natürlich auch noch die ganze Welt vor dem Bösen. Dieses Böse ist dabei auch noch eindeutig markiert, ist es doch das Schwarze, das Dunkle, der Schatten, der alles befällt, gegen den Alan Wake mit Pistole und Taschenlampe, also mit Feuer und Schwert, vorgehen muss. Entsprechend ist auch das Gameplay recht konventionell, steht doch als einzige Konfliktlösungsmöglichkeit nur Gewalt zur Verfügung. Das alles scheint einem doch nur allzu bekannt und das ist eigentlich auch gut so, weil es unseren Blick auf das lenkt, was Alan Wake eigentlich verhandelt und zwar auf einer Metaebene: die Medialität des Computerspiels und das Spielen von Computerspielen selbst.

Insofern ist es eben sehr wohl gut oder sinnvoll, sich traditioneller Erzählmuster und traditioneller Spielelemente zu bedienen, weil eine zu große Progressivität uns den Blick auf eben diese andere Ebene versperren würde.

Dass Alan Wake den Status des eigenen Mediums verhandelt, lässt sich dabei am einfachsten an der Vorführung anderer Medien im Spiel aufzeigen. Das Computerspiel kommt auf intradiegetischer Ebene nämlich nur am Rande vor (als Sammelgegenstand), sehr wohl aber das Medium Film bzw. Serie, sei es durch intertextuelle Verweise z.B. auf LOST, Twin Peaks oder verschiedene Alfred Hitchcock-Filme oder durch in den Levels verteilte Fernsehbildschirme, auf denen man die fiktive Serie Night Springs sehen kann; Hinzu kommt auch noch, dass die Serie die Struktur des Spiels vorgibt, ist es doch in Episoden unterteilt und jeweils mit einem „Was bisher geschah“ und einem Abspann (mit extreadiegetischem Soundtrack) versehen. Das ist umso auffälliger, als das Spiel, im Gegensatz zu anderen episodisch aufgebauten Spielen (z.B. The Walking Dead) eben nicht in der Form einzelner nacheinander veröffentlichter Episoden auf den Markt gebracht wurde, sondern dass es traditionell als komplettes Spiel veröffentlicht wurde und dennoch diese ungewöhnliche Struktur besitzt.
Noch bedeutsamer jedoch für Alan Wake ist das Medium Literatur, ist es doch das zentrale Thema des Spiels. Denn nicht nur handelt es sich bei dem titelgebenden Protagonisten um einen Schriftsteller, auch die Erzählung selbst dreht sich in Gänze um die Verhandlung von Literatur und den Status von Fiktion.

Was bereits jetzt deutlich wird, ist die in Alan Wake vorgeführte Hybridität des eigenen Mediums, das ohne Probleme Bestandteile anderer Medien in sich aufnehmen kann, also Texte oder Cutscenes als deutlichste Beispiele. Doch noch interessanter ist es sich anzusehen, wie diese Bestandteile verwendet und verhandelt werden, wobei im Folgenden der Fokus auf der Verhandlung von Literatur liegen soll.
Welche Rolle also spielt sie in der Erzählung? Alan Wake wird bereits zu Beginn mit der Macht des Schreibens konfrontiert: Nach dem plötzlichen und rätselhfaten Verschwinden seiner Frau Alice, wacht er mit einer Erinnerungslücke von einer Woche in einem verunglückten Auto auf. Doch anscheinend war er in dieser Woche nicht ganz untätig, findet er doch auf einmal Blätter eines von ihm selbst geschriebenen Manuskripts zu einem Roman Namens „Departure“, die immer wieder das vorwegnehmen, was ihm – und anderen Personen in Bright Falls – wenige Momente später widerfahren wird. Die Literatur scheint also Macht über die Wirklichkeit zu erlangen.
Worte, seine Worte, werden zu Realität und zwar im wortwörtlichen Sinne: Im späteren Verlauf des Spiels bestehen Teile des Levels nur noch aus Wörtern, die durch das Anleuchten mit Alans Taschenlampe zu den Objekten werden, die sie bezeichnen.

Und so ist dies schlussendlich auch die Lösung, die Alan Wake findet, um alles retten zu können: Er muss beginnen, die Geschichte umzuschreiben. Er beginnt, die Dunkelheit, die die Welt bedroht und die nur so stark werden konnte, weil er sie selbst unter dem Einfluss Barbara Jaggers so stark geschrieben hat, aus eben dieser herauszuschreiben, während er gleichzeitig seine Frau wieder in sie hineinschreibt. Was Alan betreibt, ist also produktive Rezeption in einer absoluten Dimension. Produktive Rezeption bezeichnet im Gegensatz zur normalerweise passiv gedachten Rezeption, den aktiven Umgang mit einem künstlerischen Werk im Vorgang des Rezepierens. Hierunter fällt zum Beispiel auch das Übersetzen oder eben das Umschreiben eines Textes, also genau das, was Alan Wake auch tut: Denn er schreibt den Text der Welt um.

Doch genau in diesem Vorgang doppelt Alan Wake etwas, das jedes Computerspiel immer schon tut. Denn was ist das Spielen eines Computerspiels anderes als immer schon produktive Rezeption? Selbst das linearste Spiel benötigt einen aktiven Part auf der Seite des Spielers, der damit die Spielwelt, natürlich im Rahmen der von der Programmierung vorgegebenen Möglichkeiten, beeinflusst und verändert. Dies beginnt bereits, bei der Entscheidung, ob man zuerst den linken und dann den rechten Weg wählt und steigert sich natürlich umso mehr, wenn die Entscheidungen des Spielers größeren Einfluss auf den Verlauf des Spiel besitzen. Alan Wake führt genau dies vor, es zeigt unter der Maske intradiegetischer Autorschaft eigentlich, was es heißt ein Computerspiel zu spielen.

Während sich die intradiegetische Erzählung mit produktiver Rezeption beschäftigt, scheint davon nur wenig im Gameplay umgesetzt zu werden. Die Geschichte ist streng linear und den Einfluss, den der Spieler hat, beschränkt sich auf Details. Hier sind wir also wieder bei den bereits zu Anfang erwähnten traditionellen Erzählmustern und Strukturen angelangt, denen Alan Wake folgt. Man könnte jetzt daraus schließen, dass hier eben gar keine produktive Rezeption stattfindet. Dies ist aber ein Trugschluss, da jede Art von Computerspiele Spielen bereits produktive Rezeption ist, da wir durch die Interaktivität des Mediums nicht einfach passiv rezipieren, sondern immer auch handeln müssen, also immer schon produzieren.

Sicherlich hätte sich Remedy auch für einen höheren Grad an Einflussnahme des Spielers entscheiden können, aber dies ist gar nicht notwendig, da bereits bei den hier vorhandenen traditionellen Strukturen die Einflussnahme auf das Medium größer ist als in allen anderen. Denn schon die Möglichkeit, seinen Weg durch ein Level – und sei es auch noch so schlauchig – selbst finden zu können, gibt dem Rezipienten mehr Freiheiten als dies eine Erzählung in einem anderen Medium könnte. Computerspiele mögen zwar linear sein, aber sie können kaum im gleichen Sinne des Wortes linear sein wie Film und Buch. Dies beweist uns Alan Wake umso mehr, da es eigentlich ein ganz gewöhnliches Spiel ist. Ungewöhnlich an ihm ist hingegen ist, das es ausstellt, dass diese Gewöhnlichkeit im Bezug auf unseren Umgang mit Medien allgemein alles andere als gewöhnlich ist

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Unterhuber, Tobias: "Spielen Spielen – Doppelte produktive Rezeption in "Alan Wake"". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 26.06.2013, https://paidia.de/spielen-spielen-doppelte-produktive-rezeption-in-alan-wake/. [19.04.2024 - 22:21]

Autor*innen:

Tobias Unterhuber

Dr. Tobias Unterhuber studierte Neuere deutsche Literatur, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Religionswissenschaft an der LMU München und der University of California, Berkeley. 2018 promovierte er bei Prof. Dr. Oliver Jahraus mit einer Arbeit zum Thema "Kritik der Oberfläche – Das Totalitäre bei und im Sprechen über Christian Kracht". Er ist Post-Doc am Institut für Germanistik, Bereich Literatur und Medien an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Zu seinen Forschungsinteressen zählt neben Popliteratur, Literaturtheorie, Diskursanalyse, Literatur & Ökonomie und Gender Studies auch die kulturwissenschaftliche Computerspielforschung.