Game Studies als Heuristik der historischen Literatur­wissenschaft? Anmerkungen zur aktuellen mediävistischen Virtualitätsdebatte

28. September 2018

In den letzten Jahren hat mit dem Begriff des ‚Virtuellen‘ ein Konzept Einzug in den mediävistischen Diskurs gefunden, dessen Verwendung im Zusammenhang mit mittelalterlicher Literatur angesichts seiner starken Assoziation mit digitalen Medien, insbesondere mit Computerspielen, zunächst überraschen mag. So liest man neuerdings von ‚virtuellen Räumen und Wahrnehmungserfahrungen in höfischen Erzählungen um 1200‘ 1, von ‚Kunstbeschreibungen und virtuellen Räumen in der Literatur des Mittelalters‘ 2, von der ‚Erzeugung virtueller Räume im Erzählakt höfischer Epik‘ 3 oder von ‚Pilgerreisen im virtuellen Raum‘ 4. So unterschiedlich das hier jeweils aufscheinende Verständnis von Virtualität im Detail auch ausfallen mag, so haben die genannten Beispiele doch alle gemeinsam, dass sie den Begriff aus der engen Beschränkung auf spezifisch neuzeitliche Medienphänomene zu lösen versuchen: sei es durch den Verweis auf die Etymologie des Wortes 5 oder durch den Rückbezug auf konkrete Verwendungsweisen im Mittelalter wie beispielsweise in den musiktheoretischen Schriften Johannes de Grocheios 6. Freilich dürfen Bemühungen dieser Art, einem populären Modewort seine historische Tiefendimension zurückzugeben, nicht darüber hinwegsehen lassen, dass das neugefundene Interesse der historischen Kultur- und Literaturwissenschaften kaum denkbar wäre, hätte der Begriff nicht ohnehin im allgemeinen Mediendiskurs seit Ende des letzten Jahrhunderts fortdauernde Hochkonjunktur. Jedenfalls bieten die entsprechenden Belege kaum einen Hinweis darauf, dass dem Konzept auch in den medientheoretischen Reflexionen des Mittelalters eine auch nur annähernd vergleichbare Stellung zugekommen wäre. Als ästhetische und pragmatische Kategorie bleibt ‚Virtualität‘ ein Schlagwort der Neuzeit – genauer: der letzten Jahrtausendwende –, und jeder Versuch, diese Kategorie auch für die mediale Situation der Vormoderne fruchtbar zu machen, erweist sich insofern als nachträgliche Rückprojektion mit vor allem heuristischem Wert. Gerade deshalb aber bietet sich die aktuelle Virtualitäts-Debatte in besonderer Weise an, um aufzuzeigen, nicht was die Beschäftigung mit älteren Texten für die Analyse moderner Medientypen wie Computerspiele leistet, sondern umgekehrt: welchen Mehrwert Begriffe und Konzepte des Informationszeitalters für das Verständnis historisch fremdgewordener Zeichensysteme bereitstellen können. Um dieser Frage nachzugehen, werde ich zunächst zwei exemplarische Forschungsbeiträge vorstellen, die deutlich machen sollen, welchen Erkenntnisgewinn der Begriff des ‚Virtuellen‘ verspricht und wo beim gegenwärtigen Stand der Diskussion möglicherweise seine Grenzen liegen. In einem weiteren Schritt möchte ich darauf aufbauend versuchen, mit einer weiteren konzeptionellen Anleihe aus dem Schnittbereich von Game Studies und Narratologie ein – wie mir scheint – noch ungeklärtes Problem der Virtualitätsforschung anzugehen: die Frage nach dem Verhältnis von Virtuellem und Fiktionalem, das insbesondere für die Gegenüberstellung von modernen und historischen Erscheinungsformen von Virtualität von nicht geringer Bedeutung sein dürfte.

Virtualität und Interaktivität

Ich beginne mit dem Beitrag ‚Eine Pilgerreise im virtuellen Raum. Das ›Palästinalied‹ Walthers von der Vogelweide‘ von Haiko Wandhoff (2004). 7 Wandhoff schließt hierbei an seine ein Jahr zuvor erschienene Habilitationsschrift zu ekphrastischen Kunstbeschreibungen in der Literatur des Mittelalters an, in der er bereits den ‚virtuellen Raum‘ als Leitbegriff seiner Analysen eingeführt hat. 8 Auch dort stellt Wandhoff an den Beginn seiner Überlegungen die These, dass „Virtualität als eine Kategorie von Wahrnehmung und Kommunikation […] nicht auf den Bereich der elektronischen Datenverarbeitung zu reduzieren“ 9 sei. Rückhalt finde diese Annahme schon in der Etymologie des Wortes: „Das Adjektiv virtuell geht ebenso wie das im Englischen recht gebräuchliche virtual (‚fast völlig‘, ‚so gut wie‘) zurück auf lateinisch virtus (‚Tugend‘, ‚Kraft‘, ‚Vermögen‘).“ Demnach bezeichne es „einen Zustand, der nach Anlage oder Vermögen vorhanden ist, oder, wie Oliver Grau formuliert, ‚ein dem Wesen nach Vorhandenes – ein glaubhaftes Als-ob‘“ 10. Diese auf die Wortherkunft gestützte Definition von Virtualität führt Wandhoff zu der grundlegenden Ausgangsfrage seiner Untersuchung:

Faßt man als virtuellen Raum demnach nicht nur den computergestützten Cyberspace, sondern ganz allgemein jeden medial vermittelten, mehr oder weniger immersiven ‚Raum des Möglichen oder Unmöglichen‘, in dem der Benutzer sich navigierend durch symbolische Welten bewegen kann, sei es mit Hilfe einer Tastatur, eines neuronalen Interface oder seiner Imagination, dann kann man danach fragen, ob und inwieweit bereits der mittelalterlichen Literatur Aspekte von Virtualität eigen sind. 11

Während Wandhoff diese Frage in seiner Habilitationsschrift vor allem mit Blick auf epische Texte verfolgt (Antikenroman, Artusroman), erprobt er den Ansatz in dem späteren Aufsatz am Beispiel des sog. Palästinaliedes (L 14,38), dem vielleicht prominentesten religiösen Text Walthers von der Vogelweide. 12 Anlass dazu bietet die Verankerung des Liedes in der zeitgenössischen – insbesondere der monastischen – Frömmigkeitspraxis, die schon früh „das Meditieren über die Heilsgeschichte […] als ein Betrachten und Durchwandern ihrer bildlich vorgestellten Schauplätze konzipiert“ habe (S. 77). Vor diesem Hintergrund erscheint das Palästinalied geradezu als Musterbeispiel für die Frage nach historischen Erscheinungsformen von virtuellen Räumen (im oben beschriebenen Sinne): Der Text werde mithin zu einer „Ersatz-Pilgerreise“, die die Rezipienten „mit Hilfe ihrer Vorstellungskraft absolvieren können“ (S. 73; Hervorhebung im Original). Demnach gehe es in dem Lied nicht darum, wie Wandhoff anhand der siebenstrophigen Kernfassung der Kleinen Heidelberger Liederhandschrift (A) aufzeigt, einen „geographischen Raum anschaulich“ werden zu lassen, sondern vielmehr darum, die Bedeutung des durch die Erzählerfigur aufgesuchten Ortes „im Hinblick auf das Leben Jesu“ zu erörtern (S. 76). Dabei werde das Ich des Textes „für die Hörer und Leser zu einem Okular, durch das die nachfolgend vorgestellten Orte und Ereignisse“ betrachtet werden können (S. 79). Das Ich sei also keineswegs mit dem Autor des Textes gleichzusetzen; vielmehr handle es sich um eine Rollenfigur, die in ihrer Funktion mit ‚Avataren‘, den computergenerierten Repräsentanten des Menschen im Cyberspace, zu vergleichen sei:

In diesem Sinne ließe sich auch die Pilger-Figur des ‚Palästinaliedes‘ beschreiben: als ein Avatar, in dessen Gestalt Walther von der Vogelweide in den virtuellen Raum seines Textes ‚hinabsteigt‘, um dort seine Leser durch das Heilige Land zu führen (S. 86).

Wandhoff macht jedoch umgehend auf die Grenzen dieses Vergleiches aufmerksam: Denn anders als etwa im Falle von Computerspielen,

fehlt dem Leser von Literatur ein entsprechendes [sic] Avatar, um mit dem Autor interagieren zu können. Im Gegensatz zu den computergenerierten virtuellen Räumen, so scheint es, muß der Benutzer literarisch erzeugter ‚Modelle von Welt‘ auf das Moment der Interaktivität verzichten (ebd.).

Damit spricht Wandhoff den zweiten zentralen Aspekt virtueller Medien neben ihrer immersiven Dimension an: die aktive Rolle der Rezipienten bei der je neu sich aktualisierenden Sinnkonstitution. 13 Wandhoff bezieht sich damit auf die Überlegungen Elena Espositos, der zufolge fiktionale Medien sich durch den Ausschluss der Rezipientin aus einem in sich geschlossenen, relativ kontextunabhängigen und allein durch die Autorität seiner Urheberin verbürgten Sinnsystems auszeichnen. Der Modus fiktionaler Kommunikation ziele mithin nicht auf die Beobachtung von ‚Welt‘, sondern vielmehr darauf, „die Beobachtung anderer“ 14 zu beobachten. „Der Benutzer von Projektionen einer virtuellen Wirklichkeit“ dagegen müsse wissen, „daß die Realität, mit der er zu tun hat, von seinen Interventionen abhängig ist und nicht autonom existiert“ 15. Esposito veranschaulicht den Zusammenhang am Beispiel der sog. ‚interaktive[n] Literatur‘, „die es dem Leser ermöglichen soll, den Text zu verändern, zu ergänzen und zu personalisieren, ohne Privilegierung einer Leserperspektive und ohne das Bedürfnis, einen stabilen Bezugstext zu fixieren“. 16 Ähnlich deutlich wird das Prinzip im Falle von Computerspielen, bei denen der Fortgang der Handlung in einem ganz grundlegenden Sinne von der Beteiligung der SpielerIn abhängt.

Daran anschließend, betont Wandhoff, dass es durchaus historische Ausprägungen von Virtualität in diesem Sinne gibt – als eines spezifischen Modus der Kommunikation also, der sich vom fiktionalen Modus durch die Möglichkeit der interaktiven Beteiligung der Rezipientin unterscheidet –, und zwar nicht allein unter den Bedingungen der Aufführungssituation, bei der das Publikum „sich doch möglicherweise direkt an den Vortragenden wenden und Wünsche oder Kritik äußern“ könne (S. 87). Ausschlaggebend sei die ‚Unfestigkeit des Textes‘, wie sie in dessen Überlieferung manifest werde: Neben der bereits erwähnten siebenstrophigen Kernfassung existieren Fassungen des Liedes, die, bei wechselnder Reihenfolge (und teils wechselndem Wortlaut), den Strophenbestand auf bis zu zwölf Strophen erweitern (vgl. S. 74 und 87 f.). So lade etwa die Erwähnung des descensus ad inferos in der Kernfassung dazu ein, nun auch von der Himmelfahrt (ascensio) Christi zu berichten, und tatsächlich werde in der Handschrift C die entsprechende Strophe „als eine von zwei deutlich markierten Nachtragsstrophen auf den unteren Rand der Seite geschrieben – als eine Art Textbaustein mithin, den der Benutzer eigenhändig einsetzen kann“ (S. 88). 17 Diese spezifische Eigenart mittelalterlicher Texte, die es erlaube, „das vom Dichter vorgelegte Wort- und Formmaterial variierend und kombinierend zu verändern“, sei es mithin – so Wandhoff –, die „ein originäres Moment von Interaktivität“ erkennen lasse, das durchaus mit modernen Medienphänomenen vergleichbar sei:

Nach einer Zwischenperiode, dem Zeitalter der Neuzeit mit seinen abgeschlossenen Texten, die als individuelle und unveränderbare Entwürfe eines Autors gelesen wurden, kehren wir demnach erst heute zu einer Form des unfesten virtuellen und interaktiven Fernkommunikation zurück, die in den Kunstformen der alten Kulturen ihre Vorgeschichte hat (S. 89).

Was aber leistet nun der Virtualitätsbegriff für das Verständnis vormoderner Textualität? Im Zuge der sog. ‚New Philology‘ ist die „inhärente Offenheit der mittelalterlichen Lyrik für Umstellungen und motivische Variationen bei der Aufführung“ 18 längst erkannt worden. Gemeinhin werden derartige Phänomene unter Schlagworten wie ‚Mutabilität‘ oder ‚Mouvance‘ verhandelt, wobei ‚Mutabilität‘ „ein im Text angelegtes Zusammenwirken von Freiheit und Gesetzmäßigkeit“ meinen soll, „das dem Gedicht einen begrenzten Spielraum für Variationen einräumt“, während ‚Mouvance‘ auf „das beobachtbare Ergebnis solcher im Regelwerk des Textes vollzogenen poetologischen Variationen“ 19 zielt. Auffällig ist, dass es sich bei beiden Termini um textbezogene Kategorien handelt, die das spezifische Verhältnis von Text und Rezipientin gerade nicht in den Blick nehmen: Wo ‚Mutabilität‘ die poetologische Dimension des Gedichtes, ‚Mouvance‘ dagegen stärker den konkreten Überlieferungsbefund fokussiert, scheint in dieser Systematik ein Begriff zu fehlen, der in der Lage wäre, auch die Rolle der Rezipientin im Prozess der Texttradierung theoretisch zu fassen. Diese Lücke kann Wandhoff im Rückgriff auf den Virtualitätsbegriff durchaus schließen. Offenbar erweist sich ausgerechnet ein an modernen interaktiven Medien entwickelter Begriff des ‚Virtuellen‘ als die adäquate Kategorie, um die spezifische Pragmatik einer historischen Textkultur zu beschreiben, in der Textproduktion und -rezeption in eigentümlicher Weise ineinander übergehen – in der jede Redaktorin im gewissen Sinne selbst wiederum zur Autorin wird, zwar nicht der (vermeintlichen) Ur-Gestalt eines Textes, doch immerhin ihrer jeweiligen Aktualisierung in der konkret vorliegenden Handschrift (so wie auch eine beliebige Spielerin nicht Urheberin des Spiels ist, doch allemal des jeweiligen, im Akt des Spielens sich allererst realisierenden Spielverlaufs) 20. Es bestätigt sich also durchaus, was Wandhoff bereits in der Einleitung seiner Habilitationsschrift als sein Erkenntnisziel formuliert hat, dass nämlich der Virtualitätsbegriff dazu beitragen kann, „Ähnlichkeiten und Parallelen aufzudecken zwischen dem, was uns heute als das ganz Neue der Computertechnologie erscheint, und dem, was die Literatur mit ihren eigenen Mitteln bereits in der Vormoderne zu leisten vermochte“ (S. 89).

Gleichzeitig macht gerade das Beispiel Palästinalied deutlich, an welchem Punkt der Vergleich mit modernen Computerspielen nicht mehr trägt. Für Wandhoff besetzt das Palästinalied als „‚Raum des Möglichen und Unmöglichen‘“ eine „dritte Wirklichkeitsebene“, die ontologisch zwischen dem Fiktionalen und „der realen Wirklichkeit“ zu verorten sei und die, wie oben beschrieben, „virtuell genannt werden kann“ (S. 83). Freilich ist dieser Gedanke dem historischen Publikum des Liedes grundlegend fremd: Für die Gemeinschaft der Primärrezipientinnen ist, was der Text erzählt, ebenso wenig bloße Fiktion wie es ‚virtuell‘ in dem Sinne zu nennen wäre, in dem etwa die Benutzerin eines Computerspiels dessen Realitätsentwurf als ‚virtuell‘ begreifen würde. Denn bei aller qua Überlieferung bezeugter Variationsfähigkeit, beansprucht doch jeder einzelne Textzeuge, die göttliche Offenbarung des biblischen Berichtes (inklusive apokrypher Traditionen) wahrheitsgetreu und unverfälscht wiederzugeben (jedenfalls haben wir keine stichhaltigen Hinweise darauf, dass Walther und sein Publikum nicht auch tatsächlich geglaubt hätten, wovon im Palästinalied die Rede ist). Modernen Computerspielen ist ein derartiger Wahrheitsanspruch in aller Regel fremd: Was sie erzählen, bleibt eine fiktionale Geschichte, auch und gerade, wenn diese Geschichte bei jeder Spielerin und mit jedem Spieldurchgang anders verläuft. Der Grad an Fiktionalität ist dabei, wie sonst auch, 21 grundsätzlich skalierbar: Bei Spielen mit einem historischen Setting wie etwa dem Ego Shooter Call of Duty: WWII 22 dürfte der Anspruch an die historische Akkuranz – und sei es auch nur als „‚Kulissenauthentizität‘“ 23 – tendenziell größer sein als etwa bei einem Fantasy-Rollenspiel. Doch hier wie dort ist es gerade die Möglichkeit, andernorts geltende Referenzzwänge zu suspendieren, die der Spielerin allererst die nötigen Freiräume eröffnet, um das Geschehen aktiv beeinflussen zu können – „bis hin zu der Möglichkeit, den Lauf der Geschichte durch das eigene Eingreifen“ 24 zu verändern (das Spiel bewegt sich dann im Bereich der ‚alternate history‘). Fiktionalität in diesem Sinne wäre dann aber nicht, wie bei Esposito, als Gegenbegriff zu Virtualität zu veranschlagen, sondern – im Gegenteil – gerade als die Bedingung ihrer Möglichkeit. 25

Der virtuelle Raum als Kommunikationsraum 26

Gegen die systematische Engführung von ‚Virtualität‘ und ‚Interaktivität‘, insbesondere im Bezug auf vormoderne Medien, stellt sich entschieden Silvan Wagner mit seiner Untersuchung zu virtuellen Räumen in der höfischen Epik 27, „da die historische Aktion eines historischen Publikums letztlich nicht verifizierbar“ sei (S. 28). Damit missachtet Wagner freilich nicht nur, dass es dem rezeptionstheoretischen Ansatz Wandhoffs grundsätzlich nicht um empirische Befunde zu tun ist, sondern vielmehr darum, inwieweit die aktive Mitarbeit der Rezipientinnen in den Texten selbst, als Merkmal ihrer spezifischen Poetik, bereits vorgesehen ist; er übersieht zudem, dass es durchaus eine Vielzahl historischer Rezeptionszeugnisse gibt, da unter den Bedingungen des mittelalterlichen Literaturbetriebes letzthin jeder Überlieferungszeuge immer auch ein Rezeptionszeugnis ist (zur unscharfen Trennung zwischen Produktion und Rezeption in der mittelalterlichen Textkultur siehe oben). Weiterhin bemängelt Wagner die Dichotomisierung von ‚Realem‘ und ‚Virtuellem‘, die selbst dort gegeben sei, wo das ‚Virtuelle‘ nicht als Gegenbegriff zum ‚Realen‘, sondern vielmehr – als bloß Mögliches – zum ‚Aktuellen‘ gedacht wird 28, insofern auch hier „das Virtuelle zumindest nie gegenwärtige Realität“ sei und damit „tendenziell der Gegenbegriff zu real“ bleibe (S. 27). Stattdessen schlägt Wagner ein kommunikationstheoretisches Verständnis von ‚Raum‘ vor, demzufolge die Wahrnehmungskategorie des Raumes wesentlich von der gesellschaftlichen Kommunikation über Raum abhängt (vgl. S. 36 f.). In einem solchen Modell sei der virtuelle Raum grundsätzlich nicht weniger ‚real‘ als der topographische Raum (vgl. S. 32); entscheidend sei vielmehr, wer jeweils an der raumschaffenden Kommunikation beteiligt ist und wer nicht.

Wagner illustriert den Zusammenhang am Beispiel Schule:

Gibt es nur einen einzigen Kommunikationsteilnehmer, erfolgt also die raumgenerierende Kommunikation ausschließlich mit sich selbst, so ist der Raum imaginär. Ein Kind etwa, das von der Schule träumt, imaginiert in diesem Traum einen (wie auch immer aufgebauten) Schulraum, dem nur für den Träumenden und für die Dauer des Traumes Existenz zukommt (S. 39).

Ein ‚virtueller‘ Raum sei demgegenüber eine Raumeinheit mittlerer Kommunikationszugänglichkeit, die nur für die an der raumgenerierenden Kommunikation Beteiligten und wiederum nur für den Zeitraum des kommunikativen Aktes Bestand habe: „Spielen mehrere Kinder Schule, so entsteht der Schulraum virtuell in der gemeinsamen Kommunikation räumlicher Muster. Der Raum ist für alle Teilnehmer dieser Kommunikation existent, für Außenstehende oder neu Dazukommende jedoch nur, insoweit sie die spezifischen Kommunikationsmuster des kindlichen Spiels bedienen können“ (S. 42 f.). Schließt die raumschaffende Kommunikation tendenziell die gesamte Bezugsgesellschaft mit ein und gewinnt die entsprechende räumliche Einheit – so im Falle der gesellschaftlichen Institution ‚Schule‘ 29 – über den konkreten Akt der Kommunikation hinaus Bestand, so spricht Wagner von einem ‚normalen‘ Raum (vgl. S. 39 f.). Mit dieser vielleicht überraschenden Begriffswahl unterstreicht Wagner den normativen Charakter dieser Klasse von Räumen: Sie repräsentiere aus gesamtgesellschaftlicher Sicht den Normalfall, demgegenüber insbesondere der virtuelle Raum als markierte Abweichung erscheinen müsse.

Auf der Basis dieser Unterscheidung gelingt es Wagner in der Tat, ein überzeugendes Modell des narrativen Raumes in der höfischen Epik zu entwickeln. Insbesondere kann er dem Problem der (augenscheinlichen) Diskontinuität vormoderner Rauminszenierungen begegnen, indem er nicht mehr – wie (implizit) selbst noch die neuesten Forschungsansätze 30 – den kontinuierlichen cartesiansichen Raum als deren Bezugshorizont ansetzt, sondern die charakteristische Multiperspektivität räumlicher Vorstellungen im Mittelalter ernst nimmt. Deutlich wird dies schon in seinem Eingangsbeispiel, dem ‚Torverlies‘ in Hartmanns von Aue Iwein, welches die Forschung aufgrund seiner zahlreichen Inkohärenzen nachhaltig irritiert hat. Als Iwein den Raum durchsucht, ist dieser tür- und fensterlos, doch sobald Lunete in ein kommunikatives Verhältnis zu Iwein tritt, öffnen sich eben doch – auch räumlich konkret – neue Kanäle der Kommunikation. Wagner beschreibt dies als Überformung des normalen Raumes durch einen zweiten, einen virtuellen Raum: Das ‚Torverlies‘ zerfalle demnach „durch Lunete in zwei Räume: Der eine Raum ist nach wie vor das ‚Torverlies‘, aus dem es keinen Ausweg gibt und das von Todesfurcht gekennzeichnet ist. Dies ist der Raum, den alle Burgbewohner begehen können [= Normalraum; T. P.]; der andere Raum ist ein Raum der höfischen minne, also ein Raum, der durch freundliche, regelhafte Interaktion höfischer Menschen gekennzeichnet ist. Dieser Raum kann nur von Iwein und Lunete begangen werden [= virtueller Raum; T. P.] und schließt die Burgbewohner aus, die im Augenblick keineswegs minne kommunizieren“ (S. 19).

Eine solche Modellierung, so überzeugend sie auch ist, wird freilich nur um den Preis möglich, dass man den Virtualitätsbegriff denkbar weit ausdehnt. Denn die von Wagner beschriebenen raumschaffenden Kommunikationen betreffen nicht nur die Figuren innerhalb der erzählten Welt, sondern ebenso sehr das Verhältnis von erzählter Welt und extradiegetischer Erzählsituation. Auch in der spezifischen Kommunikation zwischen dem Erzähler und seinem (impliziten) Publikum werde demnach ein virtueller Raum etabliert, den Wagner in Anlehnung an die gebräuchliche erzähltheoretische Kategorie der ‚Erzählzeit‘ als ‚Erzählraum‘ bezeichnet (vgl. S. 56). Wo Wandhoff immerhin noch einen graduellen Unterschied zwischen fiktionalen und virtuellen Medien ansetzt (insofern jeder Lektüreakt bis zu einem gewissen Grad die aktive Mitarbeit der Rezipientin einfordert [s. o.]), lässt Wagner eine solche Trennung gänzlich fallen: Jeder fiktionale Text ist immer auch ein virtueller Text (das ist sogar eine der Kernthesen in Wagners Arbeit, vgl. S. 52–63). Das Spezifische moderner digitaler Medien, auf die der Virtualitätsbegriff ansonsten für gewöhnlich bezogen wird, bekommt Wagner mit einer solchen Konzeption freilich ebenso wenig in den Blick wie die frappanten Parallelen im Bereich vormoderner Textualität und Medialität, auf die es Wandhoff gerade ankommt. 31

Generell bleibt das Verhältnis von ‚Fiktionalität‘ und ‚Virtualität‘ auch bei Wagner undurchsichtig, wie bereits sein selbstgewähltes Beispiel ‚Schule‘ deutlich werden lässt. Wagner zufolge „ist der virtuelle Raum keineswegs weniger real als der normale Raum – er wird lediglich von einer signifikanten Gruppe der Bezugsgesellschaft als weniger real wahrgenommen“ (S. 51; Hervorhebungen im Original). Dabei gilt freilich zu bedenken, dass der virtuelle Schulraum der spielenden Kinder nicht nur für Außenstehende, sondern auch für die Kommunikationsteilnehmenden selbst durchaus einen – gerade im Verhältnis zum Normalraum ‚Schule‘ – besonderen ontologischen Status einnimmt: Das kindliche Spiel bleibt eben ein ‚Als-ob‘ – und genau darin liegt der Reiz des Spiels, das nicht wenige Kinder dem Besuch der Institution Schule nur allzu bereitwillig vorziehen dürften. Noch deutlicher wird der Sachverhalt am Beispiel von Ego Shootern wie dem bereits erwähnten Call of Duty: WWII: Auch hier bleibt die im Spiel dargestellte Kriegssituation – bei allen immersiven Effekten – ein ‚Als-ob‘, und die Möglichkeit, diese Kriegssituation spielerisch zu genießen, setzt auf Seiten der Rezipientin auch ein Bewusstsein für diesen Status des ‚Als-ob‘ voraus. Mag sein, dass der virtuelle Raum nicht weniger ‚real‘ ist als der normale Raum, doch in diesem Fall eben ‚nur‘ im Modus des ‚Als-ob‘.

Auf der anderen Seite begegnen unter den von Wagner besprochenen Texten zahlreiche Szenen, die zumindest für die betreffenden Figuren ganz und gar keinen Spielcharakter haben: etwa wenn Erec im Baumgarten von Brandigan, der aufgrund seiner beschränkten Zugänglichkeit für Wagner ebenfalls als virtueller Raum zählt, 32 im Wortsinne Kopf und Kragen riskiert (vgl. hierzu S. 218–239). Indem Wagner die Frage nach dem ontologischen Status virtueller Räume eher umgeht als beantwortet, geht seiner Konzeption wichtiges Differenzierungspotential verloren.

Geschehen, Geschichte, Erzählung

Bestimmte virtuelle Räume scheinen sich von normalen Räumen also ebenso wenig bloß quantitativ – durch die Größe ihrer relevanten Bezugsgruppe also – zu unterscheiden wie Virtualität als Gegenbegriff zu Fiktionalität konzeptualisierbar wäre, denn auch zahlreiche virtuelle Medien – Computerspiele zumal – präsentieren weder faktisch ‚Wahres‘ noch nehmen sie für sich in Anspruch, dies zu tun. Tatsächlich ist, so zeichnet sich ab, damit zu rechnen, dass Fiktionalität und Virtualität ganz unterschiedliche kategoriale Ebenen besetzen. Möchte man Virtualität – mit Wandhoff – über das Merkmal ‚offen für interaktive Rezeptionsweisen‘ definieren, doch ohne dies in Abgrenzung zu Fiktionalität zu tun, dann bietet sich zu genaueren Differenzierung und Systematisierung ein Rückgriff auf die narratologische Unterscheidung von ‚Geschehen‘, ‚Geschichte‘ und ‚Erzählung‘ an, die in den letzten Jahren auch im Bereich der Game Studies Aufmerksamkeit gefunden hat. Frank Degler beschreibt das Verhältnis dieser Ebenen differenztheoretisch als Form/Inhalt-Unterscheidung:

Die ‚Geschichte‘ ist ein ‚Medium‘ für die Erzählung‘, die bestimmte Elemente der Geschichte herausgreift und diese enger koppelt, sie also in spezifischer Weise ‚formiert‘. Die Geschichte ist dabei aber nie selbst als Medium beobachtbar, sondern nur als Konstruktion ‚hinter‘ den verschiedenen realisierten bzw. möglichen Formen der Erzählung zu ermitteln. 33

Das Computerspiel ermögliche nun, unmittelbar sinnfällig werden zu lassen, was für literarische Texte nur umständlich auf dem Wege theoretischer Reflexion erschlossen werden könne, denn „durch die beständige Differenz zwischen der einen aktuellen Ausprägung des Handlungsverlauf und den vielen möglichen anderen Formen, in denen die Geschichte erzählt werden könnte“, halte es „eben diesen Unterschied“ 34 präsent. Dasselbe gelte auch für die Unterscheidung ‚Geschichte‘ – ‚Geschehen‘, denn

Computerspiele variieren nicht nur im Rahmen von Versuch und Irrtum innerhalb einer einzigen Geschichte, sondern halten oftmals die konträre Variante des Geschehens, in Form einer zweiten Spielversion präsent. Sie ermöglichen damit die Beobachtung, dass auch die Geschichte (die ihrerseits wieder eine potentiell unendliche Vielzahl von Erzählungen erzeugt) selbst schon das Produkt eines Auswahlprozesses ist: Denn eine Geschichte ist die Formung eines Geschehens, welches als Medium für diesen Selektionsprozess fungiert. 35

Wie literarische Texte, so können auch Computerspiele sowohl auf fiktionales wie auf nicht-fiktionales ‚Geschehen‘ Bezug nehmen. Im Falle des Shooters Call of Duty: WWII wären das dem Spiel zugrunde liegende Geschehen die Ereignisse des zweiten Weltkrieges, die als solche nur anhand der unterschiedlichen historischen Quellen – spezifischer (narrativer) Formierungen des abstrakten Geschehens zu einer konkreten Geschichte also – rekonstruiert werden können. Im Falle des Open-World-Rollenspiels Dragon’s Dogma existiert das Geschehen – der Kampf des fiktiven Kontinents Gransys gegen die Angriffe des Drachens Grigori – jenseits der Geschichte, wie sie das Computerspiel präsentiert, allenfalls in den Köpfen der Entwickler. Freilich ist es aber auch möglich, eine fiktionale ‚Geschichte‘ vor dem Hintergrund eines für sich genommen nicht als fiktional wahrgenommenen Geschehens zu erzählen, etwa die Geschichte einer fiktiven Figur in den Verwicklungen eines historischen Konfliktes, dessen Historizität dadurch in keiner Weise in Frage gestellt wird. Die ‚Geschichte‘ ist eine Selektionsleistung aus den Elementen des Geschehens durch einen oder mehrere Autorinnen (oder auch: durch die Gesamtheit aller Autorinnen, die einen Stoff je bearbeitet haben, durch die ‚Tradition‘) oder – im Spezialfall von Computerspielen – durch die Programmiererin. Die Beteiligung der Rezipientin, wie sie für virtuelle Medien gerade kennzeichnend ist, wäre demgegenüber auf der Ebene der ‚Erzählung‘ zu verorten: der Formierung der einzelnen Elemente der Geschichte zu einem konkreten Handlungsverlauf, der von Mal zu Mal anders ausfallen kann. Die Möglichkeiten der interaktiven Anteilnahme hängen dabei ab von den Spielräumen, die die Rezipientin schon auf der übergeordneten Ebene der ‚Geschichte‘ zugestanden werden, und dies im Spannungsfeld von fiktionaler Freiheit einerseits und – historischer, religiöser, traditionsgebundener – Verbindlichkeit andererseits. Zwei Beispiele, ein ‚neues‘ und ein ‚altes‘: Nach dem Sieg über den Drachen Grigori geht im RPG Dragon’s Dogma die Spielfigur eine Liebesbeziehung mit einem der Nichspielerinnencharaktere ein, und zwar ohne Rücksicht auf dessen sozialen Stand, Alter oder Geschlecht: Entscheidend ist allein, wessen Sympathien die Heldin in der ersten Hälfte des Spieles am stärksten für sich gewinnen konnte. 36 Die Aktionen der Spielerin entscheiden also über den konkreten Verlauf der Erzählung, doch so oder so tritt die Spielfigur nach dem (vermeintlichen) Endkampf in ein amouröses Verhältnis zu einer der anderen Figuren der Spielwelt: Die Entscheidungsmöglichkeiten der Spielerin sind also begrenzt durch die Vorgaben der (in diesem Falle fiktionalen) Geschichte, wie sie durch die Programmiererin des Spiels festgelegt wurden und welche eben eine Liebesgeschichte als Teil des Handlungsgefüges obligatorisch vorsehen. Noch begrenzter sind die Spielräume dort, wo der konkreten Erzählung eine Geschichte und ein Geschehen zugrunde liegen, deren Wahrheitsanspruch unbestritten bleibt, wie es bei Walthers Palästinalied der Fall ist. Zwar steht es den Redaktorinnen des Textes in erstaunlichem Maße frei, Strophen umzustellen oder auch neue Strophen zu ergänzen, doch dies gleichwohl nur, sofern diese – wie bei der ascensio Christi – auf Sachverhalte referieren, die ihrerseits bereits in der Tradition verankert sind. 37 Jedenfalls ist bezeichnend, dass diejenigen Strophen in der Überlieferung des Palästinaliedes, die nicht auf biblische oder apokryphe Traditionen zurückgehen, entweder denkbar allgemeine Aussagen treffen oder auf aktuelles Zeitgeschehen anspielen, welches dann zum biblischen Geschehen in Beziehung gesetzt wird. 38 Ungleich unwahrscheinlicher – und allenfalls unter entsprechend größerem Begründungsaufwand denkbar – wäre es demgegenüber, dass eine Bearbeiterin völlig neue Ereignisse in der Biographie Christi hinzudichtete: Die Stationen im Leben Jesu, wie sie qua Tradition verbürgt sind, sind allgemein bekannt und bleiben in ihrem Wahrheitsanspruch unantastbar. Die Geschichte ist Medium der Erzählung, das Virtualität im Sinne eines konstitutiven Miteinbezugs der Rezipientin allererst ermöglicht, das zugleich aber auch die Selektionsmöglichkeiten determiniert, die auf der Ebene der Erzählung überhaupt zur Verfügung stehen.

Das Beispiel zeigt, dass die Beschäftigung mit Computerspielen durchaus dazu beitragen kann, wichtige systematische Unterscheidungen sinnfällig werden zu lassen, die auch für den Bereich vormoderner Literatur von tragender Bedeutung sind, aber nur allzu leicht übersehen werden. Dass es sich bei der Begriffstrias Geschehen – Geschichte – Erzählung nicht um ein originäres Konzept der Computerspielforschung handelt, sondern eigentlich um einen Re-Import aus der Erzähltextforschung, 39 der sich allerdings für literarische wie für digitale Medien gleichermaßen als aufschlussreich erweist, bestätigt dabei nur die Grundannahme der mediävistischen Virtualitätsdebatte: dass die virtuellen Medien des Informationszeitalters nicht grundsätzlich ‚anders‘ funktionieren als historisch frühere Medientypen, sondern allenfalls bestimmte Aspekte wieder verstärkt ins Bewusstsein rücken, die in der literarischen Kultur der letzten Jahrhunderte tendenziell eher verdeckt worden sind. 40

Medienverzeichnis

Spiele

Capcom: Dragon’s Dogma (Microsoft Windows). Osaka: Capcom 2012.

Sledgehammer Games: Call of Duty: WW II (Microsoft Windows). Santa Monica, CA: Activision 2017.

Texte

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Degler, Frank: A Willing Suspension of Misbelief. Fiktionsverträge in Computerspiel und Literatur. In: Thomas Anz; Heinrich Kaulen (Hg.): Literatur als Spiel. Evolutionsbiologische, ästhetische und pädagogische Konzepte. Spectrum Literaturwissenschaft / spectrum Literature, Bd. 22. Berlin; New York: De Gruyter 2009, S. 543–560.

Esposito, Elena: Fiktion und Virtualität. In: Sybille Krämer (Hg.): Medien – Computer – Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien. Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1379. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S. 269–296.

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Grau, Oliver: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Visuelle Strategien. Berlin: Reimer 2001.

Heinen, Hubert: Mutabilität im Minnesang. Mehrfach überlieferte Lieder des 12. und frühen 13. Jahrhunderts. Göppinger Arbeiten zur Germanistik, Bd. 515. Göppingen: Kümmerle 1989.

Korte, Barbara; Sylvia Paletschek: Geschichte in populären Medien und Genres: Vom Historischen Roman zum Computerspiel. In: Barbara Korte; Sylvia Paletschek (Hg.): History goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres. Bielefeld: transcript 2009, S. 9–60.

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Morsch, Carsten: Blickwendungen. Virtuelle Räume und Wahrnehmungserfahrungen in höfischen Erzählungen um 1200. Philologische Studien und Quellen, Bd. 230. Berlin: Erich Schmidt 2011.

Wagner, Silvan: Erzählen im Raum. Die Erzeugung virtueller Räume im Erzählakt höfischer Epik. Trends in Medieval Philology, Bd. 28. Berlin; Boston: De Gruyter 2015.

Walther von der Vogelweide: Werke. Bd. 2: Liedlyrik. Mittelhochdeutsch / neuhochdeutsch. Hg. von Günther Schweikle. Reclams Universalbibliothek, Bd. 820. Stuttgart: Reclam 1998.

Wandhoff, Haiko: Eine Pilgerreise im virtuellen Raum. Das Palästinalied Walthers von der Vogelweide. In: Christina Lechtermann; Carsten Morsch (Hg.): Kunst der Bewegung. Kinästhetische Wahrnehmung und Probehandeln in virtuellen Welten. Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge, Bd. 8. Bern u. a.: Peter Lang 2004, S. 73–89.

Wandhoff, Haiko: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters. Trends in Medieval Philology, Bd. 3. Berlin; New York: De Gruyter 2003.

Artikelbild

Artikelbild: Das Labyrinth von Amiens (bei Wandhoff ein historisches Beispiel für einen virtuellen Raum, der zum immersiven Nachvollzug des Leidensweges Christi einlädt). Urheber: Jean Robert Thibault. <https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Labyrinthe_de_la_Cath%C3%A9drale_Notre-Dame_d%27Amiens.jpg> [24.05.2018]

  1. Morsch: Blickwendungen. 2011.[]
  2. Wandhoff: Ekphrasis. 2003.[]
  3. Wagner: Erzählen. 2015.[]
  4. Wandhoff: Palästinalied. 2004.[]
  5. Wandhoff: Ekphrasis. 2003, S. 34; Lechtermann; Morsch: Einführung. 2004, S. VI f. []
  6. Wagner: Erzählen. 2015, S. 30 f.[]
  7. Wandhoff: Palästinalied. 2004. Die nachfolgenden Zitate beziehen sich, sofern nicht anders nachgewiesen, auf diesen Titel.[]
  8. Wandhoff: Ekphrasis. 2003.[]
  9. Wandhoff: Ekphrasis. 2003, S. 34.[]
  10. Wandhoff: Ekphrasis. 2003, S. 34, mit Verweis auf Grau: Virtuelle Kunst. 2001, S, 22.[]
  11. Wandhoff: Ekphrasis. 2003, S. 34, mit Verweis auf Grau: Virtuelle Kunst. 2001, S, 22.[]
  12. Ich werde in den folgenden Betrachtungen nicht systematisch zwischen lyrischen und epischen (narrativen) Texten unterscheiden, zumal das Palästinalied – als liedförmige Dichtung, die auf narrative (in diesem Fall biblische) Stoffe referiert – Merkmale beider Gattungen in sich vereint.[]
  13. Dass dies im Grunde auf jeden Lektüreakt zutrifft – das wäre die Basisannahme der verschiedenen Rezeptionsästhetischen und -semiotischen Schulen –, notiert auch Wandhoff (Pilgerreise. 2004, S. 87). Bei der Gegenüberstellung ‚fiktional‘ –‚virtuell‘ wäre in diesem Sinne also nicht mit einem kategorialen, sondern allenfalls mit einem graduellen Unterschied zu rechnen.[]
  14. Esposito: Fiktion und Virtualität. 1998, S. 289.[]
  15. Esposito: Fiktion und Virtualität. 1998, S. 288.[]
  16. Esposito: Fiktion und Virtualität. 1998, S. 288 f.[]
  17. Das Beispiel des Palästinaliedes erlaubt es also, am konkreten Fall anschaulich zu machen, was Wandhoff in seinem früheren Buch nur andeuten konnte, dass nämlich auch „der ‚bewegliche‘ Text des Mittelalters […] Momente von Interaktivität“ aufweise, insofern „er verschiedene Interventionen des Benutzers“ zulasse (Wandhoff: Ekphrasis. 2003, S. 337).[]
  18. Heinen: Mutabilität. 1989, S. IV.[]
  19. Bleuler: Überlieferungskritik. 2008, S. 17.[]
  20. Diese Analogie greift selbst dort, wo wir es mit besonders ‚ursprungsnahe‘ Textzeugen zu tun haben, denn auch in diesen Fällen versteht sich die Autorin für gewöhnlich nicht als ‚Urheberin‘ eines Textes, sondern vielmehr als dessen ‚Erneuererin‘, die an dem Stoff ‚weiterarbeitet‘, so wie auch die Spielerin eines modernen Computerspiels durch den unmittelbaren Einbezug in das Handlungsgeschehen aktiv an dessen Plot weiterarbeitet.[]
  21. So wird ein historischer Roman tendenziell ‚anders‘ gelesen als ein Science-Fiction- oder Fantasy-Roman: Wenn ein Text für sich selbst in Anspruch nimmt – z. B. durch entsprechende Hinweise im Vor- oder Nachwort (sofern diese nicht ihrerseits als Fiktion durchschaubar sind, etwa als Herausgeberfiktion) –, dass er (auch) auf außerliterarisch ‚reale‘ Sachverhalte Bezug nimmt, dann wird dieser Text i. d. R. auch an diesem Anspruch gemessen. In einem solchen Fall kann das (ästhetische) Urteil der Leserin dann durchaus auch lauten, dass der Roman ‚schlecht recherchiert‘ oder ‚historisch ungenau‘ sei o. ä., was im Falle eines ‚absolut-fiktionalen‘ Textes eine schlechterdings sinnlose Feststellung wäre.[]
  22. Vgl. die Kampagnenbeschreibung auf der offiziellen Homepage des Spiels: „Call of Duty: WWII tells the story of a young recruit in the U.S. First Infantry Division who experiences combat for the first time on D-Day. After surviving the beaches of Normandy, your squad will fight their way across Europe, engaging the enemy in iconic battle locations such as the Hürtgen Forest and the Battle of the Bulge, as they make their way into Germany.” <https://www.callofduty.com/wwii/campaign> [09.05.2018][]
  23. Fries: Geschichte. 2015. <https://lansyn.de/news/geschichte-trifft-auf-spiele-historiker-auf-games-und-gamer/> [09.05.2018][]
  24. Kortek; Paletschek: Geschichte. 2009, S. 46.[]
  25. Zielführender als die Dichotomisierung von Fiktionalität und Virtualität scheint es also, ‚monoperspektivische‘ von ‚polyperspektivischer‘ Fiktionalität zu unterscheiden, als deren Möglichkeitsbedingung dann Virtualität im Sinne einer besonderen Disposition zu interaktiven Rezeptionsweisen zu gelten hätte; vgl. hierzu Degler: Fiktionsverträge. 2009, S. 547.[]
  26. Die folgenden Überlegungen decken sich zum Teil mit meiner Rezension zu Wagners Buch, die in der Zeitschrift Arbitrium erscheinen wird.[]
  27. Wagner: Erzählen. 2015. Die folgenden Zitate beziehen sich, soweit nicht anders nachgewiesen, auf diesen Titel.[]
  28. So etwa bei Lechtermann; Morsch: Einführung. 2004, S. VI f.[]
  29. „Es sind diese Kommunikationen über In- und Exklusion, die dem normalen Schulraum im Unterschied zu einem imaginierten Schulraum Dauer auch über die konkrete (Inter-) Aktion ‚Unterricht‘ hinaus geben, nicht etwa die physische Präsenz des Schulgebäudes, das nur so lange Schulgebäude ist und den Schulraum physisch markiert, solange die ebtreffende Schule keine Umfunktionalisierung erfährt“ (S. 40 f.).[]
  30. Vgl. Wagners instruktiven Forschungsbericht S. 4–15.[]
  31. Dies ist freilich durchaus im Sinne Wagners, warnt er doch nachdrücklich vor der „Gefahr, moderne Akzidenzien des (computergenerierten) virtuellen Raumes als dessen Substanz misszuverstehen und auf mittelalterliche Verhältnisse zu übertragen“ (S. 29 f.).[]
  32. So führt Wagner etwa das Schweigen Königs Ivreins über die konkreten „inhaltlichen Bestimmungen des Raumes“ darauf zurück, „dass er von der raumschaffenden Kommunikation dieses Minneraumes ausgeschlossen ist, wie er ja auch vom Besuch des Raumes ausgeschlossen ist, und folglich in seiner Erklärung gegenüber Erec die räumlichen Elemente des Minneraumes Garten auch nicht weiterkommunizieren kann“ (S. 224 f.).[]
  33. Degler: Fiktionsverträge. 2009, S. 544.[]
  34. Degler: Fiktionsverträge. 2009, S. 544 f.[]
  35. Degler: Fiktionsverträge. 2009, S. 145.[]
  36. Vgl. http://dragonsdogma.wikia.com/wiki/Beloved [24.05.2018][]
  37. Das schließt freilich nicht aus, dass bestimmte Ausformungen der Geschichte ihrerseits traditionsbildend werden und so zukünftig als Elemente für spätere Bearbeitungen bereitstehen. Da die ‚Geschichte‘ überhaupt nur in Form von konkreten ‚Erzählungen‘ greifbar wird, ist mit beständigen Wechselwirkungen zwischen den Ebenen zu rechnen.[]
  38. So etwa in der Strophe L 16,15 (zitiert nach Walther von der Vogelweide: Werke. 1998), in der das Wirken der (weltlichen) Landrichter zur Zeit der Abfassung der Strophe mit Gottes Urteilsspruch am letzten Tage in Verbindung gebracht wird: Unserre lantrehter tihten / fristet dâ niemannes klage, / wan er will dâ ze stunt rihten. / sô ist ez an dem lesten tage.[]
  39. Vgl. Degler: Fiktionsverträge. 2009, S. 544.[]
  40. Ich danke Franziska Ascher sehr herzlich für wichtige Anregungen und Impulse für die vorliegenden Überlegungen, die durch die Vorstellung ihres laufenden Dissertationsprojektes im Oktober 2017 an der Universität Zürich angestoßen worden sind.[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Poser, Thomas: "Game Studies als Heuristik der historischen Literatur­wissenschaft? Anmerkungen zur aktuellen mediävistischen Virtualitätsdebatte". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 28.09.2018, https://paidia.de/game-studies-als-heuristik-der-historischen-literaturwissenschaft-anmerkungen-zur-aktuellen-mediaevistischen-virtualitaetsdebatte/. [24.04.2024 - 13:39]

Autor*innen:

Thomas Poser

Thomas Poser ist Assistent für Ältere deutsche Literaturwissenschaft am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Nach der Promotion zu mythischen Erzähllogiken und räumlichen Ordnungen in der Artusepik bereitet er derzeit ein Habilitationsprojekt zur mittelhochdeutschen Bibelepik vor.