Tagungsbericht: Geschichte von/in/mit Digitalen Spielen – 15./16. September 2017 Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

23. September 2017

Am 15. und 16. September 2017 fand an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf die 2. Tagung des Arbeitskreises „Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele“ statt, der sich seit 2016 öffentlichkeitswirksam der Erfor­schung Digitaler Spiele, ihrer Historie, ihren historischen Inhalten und ihrem didaktischen wie wissenschaftlichen Potential widmet. Eröffnet wurde die Tagung mit dem Titel „Geschichte von/in/mit Digitalen Spielen“ von Gast­geber Tobias Winnerling von der Heinrich-Heine-Universität.
Winnerling brachte seine Freude zum Ausdruck, dass es zu diesem zweiten Treffen des AK gekommen war, und steckte mit Verweis auf einige For­schungs­desiderate des AK den Rahmen für die kommenden zwei Tage ab. So sei etwa der Teil­bereich „Geschichte mit Digitalen Spielen“ bisher etwas kurz gekommen. Er schloss mit einem Aufruf zu einer offenen Diskussions­kultur und betonte, dass eine gepflegte Kontroverse sowohl erlaubt als auch er­wünscht sei.
Indessen gingen unter dem Hashtag #AKGWDS17 bereits die ersten Tweets zur Tagung online (nachzulesen in der Zusammenfassung von Nico Nolden hier).
Gruppenbild der Tagungsteilnehmer

Panel 1 – Geschichte VON Digitalen Spielen

Florian Greiner (Augsburg): Cold War Gaming in den 1980er Jahren – Überlegungen zum zeithistorischen Mehrwert digitaler Spiele-Forschung

Den Anfang machte Florian Greiner mit einigen Überlegungen zum zeit­his­to­ri­schen Mehrwert digitaler Spiele-Forschung, die auf gemeinsamen Ar­bei­ten Greiners und seiner Kollegin Maren Röger zu Brettspielen aus dem bzw. über den Kalten Krieg aufbauten. Im Zentrum des Vortrags standen Fragen nach der Darstellung des Systemkonfliktes in digitalen Spielen und den ge­sell­schaftlichen Reaktionen auf die Spiele. Behandelt wurden unter an­de­rem Communist Mutants from Space (1982), Raid over Moscow (1983), Computer War (1983), Balance of Power (1985), Theatre Europe (1985) und Conflict: Europe (1989).
Greiner betonte, dass derartige Spiele nur in ihrem zeitgeschichtlichen Kon­text zu verstehen seien. Die Spiele hätten den kalten Krieg spielbar und da­mit auch diskursfähig gemacht. Sie waren Plattform für Protest und ge­sell­schaft­liche Aushandlungs­prozesse, ebenso häufig fände sich aber auch un­re­flek­tier­tes Militainment. Die Reaktionen der Zeit­genossen reichten von offenem (wenn auch oft naivem) Lob bis hin zu Angst vor dem subversiven Potential des Spiels und entsprechenden Restriktionen.

Tim Kucharzewski (Postdam): 3D-Days – Intermediale Narrative

Kucharzewski schilderte, wie in Folge des Erfolgs des Filmes Der Soldat James Ryan (1998) in den folgenden Jahren WWII-Spiele den Markt fluteten und illustrierte dies anhand von Ähnlichkeiten zwischen Filmplakaten und Spiel-Covern (z.B. Army of Darkness (80er) / Duke Nukem (90er)).
Bei der Analyse wurde eine gewisse Schizophrenie der Darstellung deutlich, die einerseits extremen Wert auf Authentizität bei Waffen und Fahrzeugen legte, andererseits aber politisch brisante Themen wie den Holocaust voll­stän­dig ausblendete, sodass von einem regelrechten „Objektfetischismus“ die Rede sein kann.

Panel 2 – Geschichte IN Digitalen Spielen

Franziska Ascher (München): Mittelalter und Digitales Spiel – Die Mittel der Germanistischen Mediävistik

Franziska Ascher eröffnete das zweite Panel der Tagung, welches Geschichte in Digitalen Spielen gewidmet war, mit einem literarhistorischen Ansatz und einer Kritik an der Authentizitätsdebatte. Diese verliere sich in Details und könne außerdem niemals zu einem positiven Ergebnis kommen, sobald sie ihren Fokus minimal erweitere.
Alternativ schlug sie einen motivgeschichtlichen Zugang sowie die Er­pro­bung von historischer Narratologie an Digitalen Spielen mit his­to­ri­schem Inhalt vor, um neben dem 'Was' der Erzählung in Digitalen Spielen auch das 'Wie' (auch in Bezug auf das Gameplay) zu beleuchten und so neue Fra­ge­stel­lung­en zu erschließen.

Arno Görgen (Düsseldorf): Zeitlichkeit als analytische Kategorie im Digitalen Spiel

Arno Görgen fand über den Vergleich von Zeitmodellen von Aarseth, Juul, Zagal & Mateas, Höltgen und Fiedler zu seiner eigenen Fünfteilung in: „Kog­ni­tive Zeiterfahrung“, „Narrative Zeitvermittlung“,  „Spielmechanische Zeit­vermittlung“, „Technologischer Rahmen“ und „Zeitmodelle“ und konnte auf diese Weise zeigen, dass die Forschung in punkto Zeitlichkeit gerade einmal an der Oberfläche der Digitalen Spiele gekratzt hat, da bisher fast aus­schließ­lich die narrative Zeit untersucht wurde.
Görgen wollte seinen Vortrag als wechselseitige Inspi­ra­tions­quelle ver­stan­den wissen und schloss daher mit einer Reihe ihm vielversprechend er­schei­nen­der Beispiele unter andere aus Remember me (2013), Last Day of June (2017), Civilization VI (2016) und dem (Görgen zufolge unterschätzten) Mafia III (2016), die in der Diskussion noch um weitere ergänzt wurden.

Nico Nolden (Hamburg): Erinnerungskulturelle Wissenssysteme in MMORPGs – Historische Inszenierung und soziale Gemeinschaften von Online-Rollenspielen

Nico Nolden gewährte den Tagungsteilnehmern eine Vorschau auf die Er­geb­nis­se seiner Dissertation zur Erinnerungskultur in The Secret World (2012ff), wobei er seine primären Erkenntnisinteressen in „Geschichtsbilder“, „Zeitgeschichte“, „Technikkulturelle Geschichte“, „Wissenssysteme“ und „Erinnerungskultur“ gliederte.
Mit dem Genre des MMORPGs wurden nicht zuletzt Problematiken der Ar­chivierung und das Transistorische eines Mediums virulent, das aufgrund von Patches und Updates in ständigem Wandel begriffen ist und durch Ab­schaltung der Server jederzeit dem Zugriff von Usern und Wissenschaft entzogen werden kann. Aber auch die Perspektivierung von Ereignissen durch verschiedene Fraktionen sowie die Rolle, die Geräusche, Licht und Atmosphäre potentiell für unsere Erinnerungskultur spielen, wurden von Nolden reflektiert.

Panel 3 – Geschichte MIT Digitalen Spielen

Una Schäfer (Berlin): Von der Rekonstruktion zur Simulation – Analogspeicher II Auralisation archäologischer Räume

Geräusche waren auch ganz entscheidend für das von Una Schäfer vor­ge­stell­te Projekt des Exzellenz­clusters „Topoi“ der Humboldt-Universität Berlin, das die Entwicklung einer digitalen Forschungs­umgebung inklusive phy­si­ka­lisch korrekter Klang­rekonstruktion zum Ziel hat, um so lebens­welt­li­che Funk­tionalisierung der historischen Schauplätze – in diesem Fall der Pnyx in Athen – besser erfassen zu können.
Im Anschluss an das Programm des Freitags hatten die Konferenzteilnehmer die Möglichkeit, den aktuellen Stand des Projektes selbst via VR zu erleben.

Olek Morozov (Moskau): Company of Heroes 2 in Russia – Clashes over World War II in Russian Gaming Community

Olek Morozov zeichnete die hitzige Diskussion über das Echtzeit-Stra­te­gie­spiel Company of Heroes 2 (2013), welches Kriegsverbrechen der sow­je­ti­schen Armee, nicht jedoch der West­mächte thematisierte, in Russ­land nach. Auffallend sei dabei, so Morozov, dass weder auf Seiten der Verteidiger des Spiels noch auf der der Gegner mit dem historischen Wahrheitsgehalt der vom Spiel implizit erhobenen Anschuldigungen argumentiert worden sei.
Stattdessen ließen sich an der Diskussion sehr gut Mechanismen der Be­an­spruch­ung von Deutungs­hoheit nachverfolgen. Historiker hätten sich – mög­li­cher­weise aus Angst vor negativen Konsequenzen im aktuellen po­li­ti­schen Klima – nicht in den Streit eingemischt, obwohl die Faktenlage relativ unstrittig sei.

Daniel Giere (Hannover): Geschichtsbewusste Computerspieler – Rezeption historischer Repräsentationen digitaler Spielwelten

Daniel Giere legte eine Rezipientenstudie anhand von Assassin‘s Creed 3 (2012) vor, die mithilfe der kognitionspsychologischen Schematheorie un­ter­suchte, wie historische Inhalte von Rezipienten verarbeitet oder überhaupt erst als solche eingeordnet werden.
Kernstück des Forschungsdesigns war eine zweiteilige Befragung im An­schluss an eine Spiel-Session, bestehend aus einer Beschreibung der Stadt Bos­ton und nachfolgender Erklärung des historischen Ereignisses der Boston Tea Party. Dabei wurde deutlich, dass auch Studierende der Ge­schichts­wis­sen­schaft nicht dagegen gefeit sind, in Digitalen Spielen erworbenes Wissen in ihr Geschichts­bild zu integrieren.
Zur Beruhigung der Tagungsteilnehmer konnte Giere allerdings vermelden, dass Masterstudenten sowohl den präsentierten Inhalten als auch ihrem eigenen Vorwissen sehr viel kritischer gegenüberstanden als Erstsemester – umso mehr, wenn es sich um Masterstudenten der Geschichtswissenschaft handelte.

Abschlussdiskussion

In der Abschlussdiskussion gab es noch einmal die Möglichkeit, persönliche Anliegen zur Sprache zu bringen und auf künftige Forschungsprojekte auf­merk­sam zu machen. So kam etwa die Problematik der Archivierung und des korrekten/einheitlichen Zitierens digitaler Spiele zur Sprache und wurde diskutiert, in welcher Rolle sich die anwesenden Historiker im Kontext der Game Studies sähen.
Vor allem wurde der Wunsch nach einer verstärkten Zusammenarbeit mit Spieleentwicklern deutlich, obwohl bereits einige Experten aus der Praxis anwesend waren.

Samstag: Workshop (Handbuch)

Der Samstag war der Planung eines Handbuches zum Umgang mit Digitalen Spielen aus Sicht der Geschichtswissenschaft gewidmet, welches Or­ga­ni­sa­tor Tobias Winnerling als „Regelwerk für die Zukunft“ bezeichnete, und be­gann mit einer Einführung durch Nico Nolden, der mit einem Exposé be­reits wertvolle Vorarbeit geleistet hatte, nachdem der DeGruyter Verlag wegen des Projektes auf ihn zugekommen war.
Ziel des Handbuches sei es, den disparaten und interdisziplinären For­schungs­stand zusammenzufassen, Personen und Diskurse zu ver­knüp­fen, Standards zu etablieren und Studierende, Forschende und Lehrende in die Lage zu versetzen, mit Digitalen Spielen als Forschungsgegenstand um­zu­geh­en.
Als Herausgeber übernehmen Daniel Giere, Nico Nolden, Eugen Pfister und Tobias Winnerling Verantwortung. Die Veröffentlichung des Handbuches ist für 2019/20 geplant.
Im Anschluss teilte sich der Arbeitskreis nach Interessen entsprechend den angedachten sechs Diskursblöcken „Arbeitsfelder der Geschichtswissen­schaft“ (Eugen Pfister), „Geistes- und Sozialwissenschaften“ (Josef Köstl­bau­er), „Methodische Zugriffs­wege“ (Nico Nolden), „Geschichte von digitalen Spielen“ (Felix Zimmermann), „Geschichte in digitalen Spielen“ (Eugen Pfis­ter) und „Geschichte mit digitalen Spielen“ (Daniel Giere) auf, um in Klein­gruppen Details (wie z.B. die einzelnen Lemmata), auszuarbeiten. Die Er­geb­nisse wurde sodann dem Plenum vorgestellt und noch einmal dis­ku­tiert.
Die Tagung endete mit der Verteilung von Aufgaben und einem „Fahrplan“ für die kommenden Jahre.
Ich denke, ich spreche für die Teilnehmer, wenn ich allen, die zum Gelingen dieser äußerst produktiven Tagung und der angenehmen Diskussionskultur beigetragen haben, für ihr Engagement danke und den Herausgebern für ihr vielversprechendes Handbuchprojekt alles Gute wünsche.

Schlagworte:

Spiele: 

So zitieren Sie diesen Artikel:

Ascher, Franziska: "Tagungsbericht: Geschichte von/in/mit Digitalen Spielen – 15./16. September 2017 Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 23.09.2017, https://paidia.de/tagungsbericht-geschichte-voninmit-digitalen-spielen-15-16-september-2017-heinrich-heine-universitat-dusseldorf/. [28.03.2024 - 17:49]

Autor*innen:

Franziska Ascher

Dr. Franziska Ascher studierte von 2008 – 2014 Sprache und Literatur des Mittelalters, Neuere Deutsche Literatur sowie Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und promovierte 2020 in der Germanistischen Mediävistik bei Prof. Dr. Michael Waltenberger zum Thema „Erzählen im Imperativ – Zur strukturellen Agonalität von Rollenspielen und mittelhochdeutschen Epen“. Seit 2021 ist sie Mitherausgeberin von PAIDIA und Post-Doc in der Germanistischen Mediävistik an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Dissertation: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5811-8/erzaehlen-im-imperativ/?c=310000018&number=978-3-8394-5811-2